Das Spiel
doppelt durchschreiten müssen!) in den Kampf zu ziehen. Das alles bewegt unser Volk bis heute, und Euer Vater gilt sowohl als Held wie auch als Schurke.« Idite senkte ihren Kopf. »Ich hoffe, ich habe Euch nicht beleidigt.«
»Nein. Nein, überhaupt nicht.« Briony war überwältigt. Wieder einmal wurde ihr schmerzlich vor Augen geführt, wie wenig sie über Shaso wußte, obwohl er nicht nur für ihren Vater so wichtig war, sondern auch für sie selbst. Und wie viele andere treue Diener, Beschützer und Berater hatte sie ebenso gedankenlos behandelt? Avin Brone, Chaven, der alte Vogt Nynor — was wusste sie wirklich von ihnen? Wie hatte sie die Stirn haben können, sich auch nur einen Moment lang als Regentin zu fühlen?
»Ihr wirkt so traurig, Herrin.« Idite bedeutete einer der jüngeren Frauen, dem Gast von dem blumig duftenden Tee nachzuschenken — Briony hatte immer noch keinen Geschmack am tuanischen
Gawa
gefunden und bezweifelte, dass das jemals eintreten würde. »Ich habe zu viel gesagt.«
»Ihr habt mich zum Nachdenken gebracht, das ist alles. Dafür braucht Ihr Euch gewiss nicht zu entschuldigen.« Briony holte tief Luft. »Manchmal erkennt man die Dinge erst richtig, wenn man weit weg ist.«
»Wenn ich das bereits in Eurem Alter gelernt hätte«, sagte Idite, »dann wäre ich den Weg der Weisheit gegangen, statt eine törichte alte Frau zu werden.«
Briony überhörte Idites rituelle Selbstabwertung. »Aber keine Weisheit der Welt ermöglicht es einem, bereits gemachte Fehler wiedergutzumachen.«
»Seht Ihr.« Idite lächelte. »Wieder ein Schritt auf dem Weg der Weisheit. Nun lasst uns Tee trinken und uns fröhlicheren Dingen zuwenden. Fanu und ihre Schwester möchten Euch ein Lied vorsingen.«
Am dreizehnten Morgen im Hause dan-Mozan erwachte Briony inmitten reger Aktivität. Sie hatte sich immer noch nicht daran gewöhnt, so früh aufzustehen wie die anderen Frauen, die schon vor Sonnenaufgang aus den Betten zu springen schienen. Aber diese Betriebsamkeit erstaunte sie doch.
»Aha, sie wach!«, rief die hübsche junge Fanu und fügte etwas auf Tuani hinzu. Briony glaubte, den Namen Idite aus dem Klanggewirr herauszuhören.
Träge begann sie, sich aus dem Nachtgewand zu schälen, damit sie ihre Kleider anziehen konnte, aber die Frauen scharten sich um sie, wedelten abwehrend mit den Händen und lachten.
»Nicht machen!«, rief Fanu. »Später. Auf Idite warten.«
Briony war dankbar, dass ihr zumindest gestattet wurde, sich das Gesicht zu waschen und die Zähne zu reinigen, bevor Idite eintraf. Die ältere Frau war in ein wunderschönes Kleid aus makellos weißer Seide gehüllt und trug darüber einen tiefroten Fransengürtel.
»Ich darf mich nicht anziehen«, beklagte sich Briony. Sie war beeindruckt von Idites eleganter Erscheinung und fühlte sich wieder einmal zu groß und kräftig und zu blass für dieses Haus.
»Das kommt daher, dass wir Euch zurechtmachen wollen«, erklärte Idite. »Heute ist ein besonderer Tag, der besondere Sorgfalt verlangt, besonders bei Eurer Kleidung, Briony-
zisaya
.«
»Wieso? Heiratet heute jemand?«
Idite lachte und wiederholte auf Tuani, was sie gesagt hatte. Die jungen Frauen kicherten. Idite hatte Briony erklärt, dass die meisten von ihnen aus angesehenen Familien stammten und dass sie nicht Effirs Ehefrauen waren, sondern eher so etwas wie die Hofdamen auf der Südmarksburg. Nur wenige waren wirklich Dienerinnen, und die eine oder andere, wie etwa Fanu, war mit Idite oder ihrem Gemahl verwandt. Obwohl Effir dan-Mozan kein adliger Tuani war, jedenfalls nicht nach Brionys Verständnis, war doch offensichtlich, dass er ein wichtiger Mann war und dieser Ort ein bedeutendes Haus, wo Leute ihre Töchter hinschickten, damit sie von einer angesehenen Frau wie Idite lernten.
»Nein, heute heiratet niemand. Heute ist Göttertag, und da gehen wir, genau wie Ihr, in den Tempel.«
»Aber letztes Mal habt Ihr mich nicht mitgenommen.« Sie erinnerte sich nur zu gut an jenen einsamen Morgen im Frauentrakt, als sie gerne etwas Zerstreuung gehabt hätte, etwas zum Lesen oder sogar — obwohl sie das sonst so hasste — irgendeine Handarbeit.
»Auch dieses Mal werdet Ihr nicht mitkommen«, sagte Idite freundlich und tätschelte Brionys Hand. »Ihr wärt zwar willkommen, aber die Große Mutter ist Euch fremd, und mein Mann, dan-Mozan, meint, es wäre nicht recht, Euch die Riten zu lehren, wo Ihr doch Gast seid.«
»Warum muss ich mich dann so fein
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