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Das Spiel

Das Spiel

Titel: Das Spiel Kostenlos Bücher Online Lesen
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flüchten. Zum ersten Mal begriff sie, was Shaso ihr so oft erklärt hatte: Wenn sie von der falschen Person erkannt wurde, konnte das ihr Tod sein. Sie bemühte sich, den Kopf gesenkt zu halten, aber nach so langer Zeit im Haus fiel es schwer, sich nicht wenigstens ein bisschen umzuschauen.
    Es waren viele Leute unterwegs, vorwiegend in die gleiche Richtung wie Brionys kleine Gesellschaft, und es schienen immer noch mehr zu werden, je näher sie dem Wasser kamen. Die meisten waren wohl Xandier, ähnlich gekleidet wie die Kaufmannsfamilie, die Frauen in langen, weiten Kleidern mit Kapuzen und Schleiern, die Männer in blassfarbenen Gewändern, die durch farbenfrohe, golddurchwirkte Westen eine festliche Note erhielten. Effir dan-Mozan führte sein kleines Grüppchen an, nickte anderen nach Tuani-Art gewandeten Männern feierlich zu und erwiderte auch den Gruß einiger alltäglich gekleideter Marrinswalker. Sein Neffe Talibo ging hinter ihm, aber vor den Frauen, die er hoch erhobenen Hauptes anführte wie ein Schäfer eine Herde preisgekrönter Schafe. Selbst Shaso war dabei, verbarg aber sein Gesicht unter einem hoch sitzenden Halstuch und einem viereckigen Tuanihut, den er tief in die Stirn gezogen hatte.
    Die Frauen, die Briony trotz der Verkleidung schützend in die Mitte genommen hatten, folgten den Männern schwatzend und kichernd. Soweit Briony verstanden hatte, war dies der einzige Tag eines jeden Tagzehnts, an dem die Frauen das Haus verlassen durften, doch trotz der Anwesenheit der gestrengen Männer des Hauses wirkten sie genauso selbstbewusst und fröhlich wie zu Hause in ihren Frauengemächern.
    Landers Port war größer, als Briony es in Erinnerung hatte — wobei sie, als sie im Dunkeln hier angekommen waren, erschöpft, triefnass und ausgehungert, nicht viel mitbekommen hatte. Es lag an einem Hügel an einer weiten, flachen Bucht. Auf dem Hügelkamm wachten ein ummauerter Herrensitz und ein steinerner, grauer Tempel über den Rest der Stadt. Shaso hatte ihr erklärt, das Anwesen gehöre einem Baron namens Iomer, dem sie anscheinend schon begegnet war, an den sie sich aber nicht erinnern konnte. Shaso beschrieb ihn als einen stämmigen Gutsherrn, der sich mehr für seine Obstbäume und Schweine interessierte als für das höfische Leben, was vielleicht erklärte, weshalb sie ihn nicht kannte.
    Der ärmere Teil der Stadt, in den dan-Mozans Haus eingebettet war wie ein verstecktes Juwel, lag am südlichen Fuß des Hügels, weit vom Meer und vom Herrensitz. Darum mussten sie keine großen Höhenunterschiede überwinden, sondern konnten einfach um den Hügel herum in Richtung Wasser spazieren. Da wie in so vielen Städten der Markenlande die Reichen oben und die Armen unten wohnten, kamen sie auf ihrem Weg nicht von ärmeren in reichere Viertel, sondern von dem Teil der Stadt, wo die Armen vorwiegend dunkelhäutig oder vom Hautton der Skimmer waren, in Gegenden, wo die Armut so helle Haut hatte wie Briony selbst.
    Jedenfalls bevor sie mir diese ganze Schminke aufs Gesicht geschmiert haben.
    Es war interessant und auch ein wenig beunruhigend, einmal nicht deshalb angestarrt zu werden, weil sie die war, die sie war — daran hatte sie sich im Lauf der Jahre gewöhnt, wenn es ihr auch immer noch nicht gefiel —, sondern weil sie sich in einer Gruppe von dunkelhäutigen Menschen bewegte. Einige Blicke waren einfach nur neugierig, andere aber erfüllt von einem unverhohlenen Hass, den Briony sich nicht erklären konnte. Ein paar Betrunkene beugten sich sogar aus ihren Haustüren, um ihnen Beschimpfungen hinterherzurufen, schienen aber rasch das Interesse zu verlieren, als sie die Messer an den Gürteln der Tuani-Männer sahen.
    Briony empfand es als erstaunlich belastend, die finsteren Blicke von Leuten erdulden zu müssen, die sie gar nicht kannte, wenn sie auch schlau genug war zu begreifen, dass dies die Kehrseite der Medaille war: Ihr hatten die Leute bisher einzig und allein deshalb zugejubelt und gehuldigt, weil sie der privilegierten Familie König Olins angehörte. Dennoch, es war eine Sache, von Unbekannten geliebt, aber eine ganz andere, von ihnen gehasst zu werden.
    So ist es also Shaso in der ganzen Zeit ergangen, die er nun schon hier ist.
Im Moment konnte sie sich mit diesem Gedanken nicht richtig beschäftigen, da um sie herum so viel passierte, daher faltete sie ihn zusammen und steckte ihn weg wie einen Brief, den man später noch einmal in Ruhe lesen möchte.
    Je näher die schmale Straße mit

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