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Das Spiel

Das Spiel

Titel: Das Spiel Kostenlos Bücher Online Lesen
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anziehen?«
    »Weil wir danach einen Ausflug in die Stadt machen«, verriet Idite. Die Frauen hinter ihr schwatzten und lächelten. »Ihr habt den
Hadar
noch kein einziges Mal verlassen, seit Ihr bei uns seid. Mein Mann ist der Meinung, Ihr hättet es verdient, uns heute nach draußen zu begleiten.«
    Briony war sich nicht sicher, wie sie das Wort »verdient« fand, weil sie sich dadurch wie ein Kind oder eine Gefangene behandelt fühlte, aber es war eine aufregende Vorstellung, einmal etwas anderes zu sehen als das Innere dieses Kaufmannshauses. Aber konnte sie es denn wagen? »Und der Edle Shaso ...? Hat er es erlaubt?«
    »Er kommt auch mit.«
    »Aber wie soll ich nach draußen gehen? Mein Gesicht kennt man doch, jedenfalls einige Leute ...«
    »Deshalb müssen wir jetzt an Euch arbeiten, Königstochter.« Idite lächelte spitzbübisch. »Ihr werdet schon sehen!«
    Als die Sonne hinter den Mauern hervorgekrochen und es wirklich Morgen geworden war, saß Briony ganz allein im Frauentrakt und wartete, dass die anderen von ihren Gebeten zurückkehrten. Die Zeremonie fand anscheinend im Hof statt und wurde von einem tuanischen Priester geleitet, der dafür in den
Hadar
kam. Briony betrachtete sich in dem hübschen kleinen Lotosspiegel, den ihr Idite in die Hand gedrückt hatte. Die Frauen hatten wirklich ganze Arbeit geleistet. Brionys Haut, sonst blässlich und voller Sommersprossen, war mit einer pudrigen, hellbraunen Schminke aus einem von Idites Tiegeln überzogen, sodass sie jetzt nur wenig heller war als die von Shaso. Ihre Augen waren mit tiefschwarzem Kohlstift umrandet, und ihr goldenes Haar war sorgfältig zurückgebunden und unter einer eng sitzenden weißen Kapuze versteckt. Das einzige, was sich nicht verändert hatte, war ihre Augenfarbe: grün, so hell wie akarische Jade, die gleiche Farbe, die auch Kendricks Augen gehabt hatten. Idite und die anderen Frauen hatten über den seltsamen Kontrast gelacht und behauptet, mit den hellen Augen und der dunklen Haut sehe sie aus wie eine xixische Hexe. Es fehle nur noch flammenfarbenes Haar. Da hatte sie plötzlich an den Rotschopf Barrick denken müssen, und zu ihrem Entsetzen hatte sie angefangen zu weinen. Da hatten sie ihr Werk erst einmal unterbrechen müssen, um ihr Wangen und Augen vorsichtig trocken zu tupfen und die Schäden auszubessern. Der Kohlstift hatte noch einmal neu aufgetragen werden müssen. Als Briony jetzt in den Spiegel blickte, bemerkte sie einen kleinen kohlschwarzen Klecks, der ihr vom Kinn auf die Hand getropft war, und tupfte ihn weg. Wo war er? Wo war ihr Bruder jetzt?
    Eine Welle von solchem Schmerz überschwemmte sie, dass sie kaum noch atmen konnte und die Augen fest zukneifen musste. All die Güte, die ihr in diesem Haus entgegengebracht wurde, bewirkte nur, dass sie sich noch verlorener fühlte, dass ihr vertrautes Leben in immer weitere Ferne rückte. Sie konnte auf den Thron von Südmark verzichten, sogar auf Südmark selbst, so bizarr und grausam diese Vorstellung auch war, aber wenn sie ihren Vater und ihren Bruder nicht wiedersähe, würde sie ganz bestimmt sterben.
    Barrick, wo bist du? Wohin hat es dich verschlagen? Bist du in Sicherheit? Denkst du je an mich?
    Plötzlich war da etwas, das sie kaum fühlte und schon gar nicht verstand, und sie öffnete jäh die Augen. Dort im Spiegel, hinter ihren eigenen unglücklichen Zügen, schwebte, seltsam verschwommen wie ein Stein auf dem Grunde eines Sees, das Gesicht ihres Zwillingsbruders, blass und mit geschlossenen Augen. Seine Arme waren auf der Brust gekreuzt, die Handgelenke gefesselt.
    »Barrick!«, schrie sie. Doch im nächsten Augenblick war er verschwunden. Sie sah nur noch ihr eigenes, jetzt so fremdes Gesicht im Spiegel.
Ich werde wahnsinnig,
dachte sie und starrte die entgeisterte, dunkelhäutige Unbekannte im Spiegel an. Wieder kamen ihr die Tränen, und diesmal weinte sie ohne Rücksicht auf das mühevolle Werk der Frauen.
     
    Während sie sich durch das Gewühl in den engen Gassen von Landers Port fädelten, stellte Briony überrascht fest, wie schön es war, einfach nur an der frischen, kühlen Luft zu sein. Sie hatte sich zwar etwas gefangen, war aber immer noch ziemlich aufgewühlt. Trotz der Theaterschminke und des Gewands, das sie von Kopf bis Fuß verhüllte, fühlte sie sich fast nackt hier draußen unter Fremden, und jedes Mal, wenn jemand sie ansah, musste sie gegen den Drang ankämpfen, auf der Stelle umzukehren und ins schützende Haus des Kaufmanns zu

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