Das Spiel beginnt
absolut geräuschlos, aber sie wusste, dass er hinter ihr stand. Zum ersten Mal seit einem Jahr verspürte Serena einen leichten Anflug von Platzangst.
Justin legte ihr die Hände auf die Schultern und drehte sie zu sich. Diese Augen, dachte er. Diese unglaublich satte Farbe. »Ein Waffenstillstand?«, fragte er.
Erleichtert stellte sie fest, dass er den Vorteil, den sie ihm eingeräumt hatte, nicht ausnutzen wollte. »Wozu?«, gab sie zurück. »Du kannst mitkommen, wenn du willst, aber kein Waffenstillstand.«
»Klingt vernünftig«, sagte er. Als er die Hände um ihre Taille legte, schob Serena ihre Tasche zwischen sie beide. Justin sah erst die Tasche, dann sie an. »Die dürfte wohl kaum ein Hindernis sein.«
»Das Angebot war rein touristisch«, erinnerte sie ihn. »Akzeptiere es oder lass es.«
»Ich akzeptiere.« Nach einem unmerklichen Zögern ließ Justin die Hände sinken. »Vorläufig.«
Serena drehte sich um und öffnete die Tür. »Schon mal mit einem Glasbodenboot gefahren?«
»Nein.«
»Es wird dir gefallen«, versprach sie und nahm seine Hand.
Ihre Haut war warm und feucht und glitzerte im Sonnenschein. Zwei winzige Stofffetzen klebten an den Kurven ihrer Brüste und Hüften. Sie streckte die Beine auf der Decke aus und seufzte zufrieden.
»Ich denke immer gern an die Piraten.« Serena sah auf das traumhaft blaue Wasser hinaus. Um sie und Justin herum erhoben sich hohe grüne Berge, als ob sie auf der See trieben. »Vor dreihundert Jahren.« Sie schüttelte das nasse Haar nach hinten und lächelte Justin zu. »Eigentlich nicht sehr lange her, wenn man bedenkt, seit wann es diese Inseln schon gibt.«
Einige Tropfen glitzerten auf seiner dunklen Haut. »Meinst du nicht, die wären entsetzt, wenn sie das hier sehen könnten?« Er nickte zu all den Menschen hinüber, die den weißen Sandstrand bevölkerten und im türkisfarbenen Wasser planschten. Gelächter und der Duft von Sonnenschutzmittel erfüllten die Luft. »Ich glaube nicht, dass dieser Strand für sie noch als unverdorben gelten würde.«
Sie lachte, erfrischt und belebt vom einstündigen Schnorcheln. »Die würden sich einfach einen anderen suchen. Piraten finden immer einen.«
»Das klingt, als würdest du sie bewundern.«
»Nach einigen Jahrhunderten ist es leicht, sie in romantischem Licht zu sehen.« Serena stützte sich auf die Ellbogen und genoss es, in der Sonne zu trocknen. »Und vermutlich habe ich immer Menschen bewundert, die nach ihren eigenen Regeln leben.«
»Um jeden Preis?«
»So, du willst also praktisch denken?« Serena drehte das Gesicht in die Sonne. Der Himmel war so blau wie das Wasser und wolkenlos. »Hier ist es viel zu schön, um praktisch zu sein. Heute gibt es nicht weniger Barbarei und Grausamkeit als vor dreihundert Jahren und nicht annähernd so viel Abenteuer. Ich würde zu gern in H. G. Wells’ Zeitmaschine mitfahren.«
Justin griff nach dem Kamm, den sie hingelegt hatte, und fuhr ihr damit durchs Haar. »Wohin würdest du reisen?«
»König Artus’ Britannien, Platons Griechenland, Cäsars Rom.« Sie seufzte. Von Justin gekämmt zu werden war zugleich beruhigend und sinnlich. »Und an Hunderte von anderen Orten. Ich müsste Rob Roy in Schottland treffen, sonst würde mein Vater es mir nie verzeihen. Ich würde gern den Westen sehen, bevor die Siedler ihn erobern. Vielleicht würde ich aber auch gern im ersten Wagen des Trecks nach Oregon sitzen.« Lachend legte sie den Kopf in den Nacken. »Es wäre mir das Risiko wert, von deinen Vorfahren skalpiert zu werden.«
Justin wog ihr Haar in einer Hand. »Wäre keine schlechte Trophäe gewesen.«
»Ich würde es lieber behalten. Und du?«, fragte sie. »Würdest du denn nicht gern die Rothaut in einem Saloon in Tombstone spielen?«
»Komantschen waren dort nicht willkommen.«
Sie griff nach hinten und schob ihm das feuchte Haar aus der Stirn. »Jetzt bist du wieder praktisch.«
»Ich wäre unter den Kriegern gewesen, die deinen Wagen angegriffen haben.«
»Ja.« Sie sah auf die See hinaus. Es war dumm zu vergessen, wer und was er war, selbst für einen Moment. Er war anders. Aber das machte ihn nur noch attraktiver. »Das wärst du wohl. Wir hätten neue Grenzen geschaffen, und du hättest verteidigt, was dir gehört. Später liegt immer alles im Nebel, und man fragt sich, ob eine der beiden Seiten ungerecht war. Kommst du dir je betrogen vor?«, wollte sie wissen. »Um dein Geburtsrecht?«
Justin zog den Kamm langsam durch ihr Haar.
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