Das Spiel der Götter 14: Die Stadt des blauen Feuers (German Edition)
gewartet.«
»Alle begrüßen die Zivilisation«, sagte Samar Dev. »Wie ein Leuchtfeuer in der dunken Wildnis.«
»Er wartet mit einem kalten Lächeln«, fuhr Reisender fort, als hätte er sie nicht gehört, »dort, wo alle Straßen zusammenlaufen, dort, wo alle Wege enden. Er wartet.«
Ein Dutzend Herzschläge verstrich, ohne dass jemand etwas sagte.
Im Norden brannte irgendetwas, schickte helle, orangefarbene Flammen himmelwärts, die die Bäuche brodelnder Wolken aus schwarzem Rauch beleuchteten. Wie ein Leuchtfeuer …
»Was brennt da?«, wunderte sich Reisender.
Samar Dev spuckte noch einmal aus. Sie wurde den üblen Geschmack im Mund einfach nicht los. »Karsa Orlong«, antwortete sie. »Karsa Orlong brennt etwas nieder, Reisender. Weil es das ist, was er macht.«
»Ich verstehe dich nicht.«
»Es ist ein Scheiterhaufen«, sagte sie. »Und er trauert nicht. Die Skathandi sind nicht mehr.«
»Wenn du von Karsa Orlong sprichst«, sagte Reisender, »fürchte ich mich.«
Sie nickte bei diesem Eingeständnis – eine Reaktion, die er vermutlich noch nicht einmal sehen konnte. Der Mann neben ihr war ein aufrichtiger Mann. In vielerlei Hinsicht so aufrichtig wie Karsa Orlong.
Und am nächsten Morgen würden die beiden sich begegnen.
Samar Dev verstand Reisenders Furcht gut.
Kapitel Neun
Die Bullen schreiten stets allein zur Einsamkeit
Ihres Selbsts
Stolzierend in ihren Mänteln aus schweißnassem Filz
Jede Ader geschwollen
Trotzig und stolz in ihrem tierischen Verlangen
Mit donnerndem Schritt
Macht Platz, macht Platz den spritzenden Schwertern
Die Jungfrauenherzen morden
Gespalten ist der weit klaffende Schnitt – welch zärtliche Geste!
Und wir müssen in Verzückung geraten
Vor rotgeränderten Augen, und du wirst keine Schuld finden
Im Selbst, das sich so bewährt hat
Und der wilde Ansturm höchst fruchtbaren Samens
Singt wie der Regen der Götter
Macht Platz, macht Platz für ein anderes kühnes Wort
Der Tänzer wird sicher fehltreten
Im gehetzten Getrommel der Menge
Gecken der Promenade
Seglora
E rwartungen sind der altersgraue Fluch der Menschheit. Man kann Worten zuhören und sie wie eine sich entfaltende Blüte betrachten, man kann allerdings – ja, tatsächlich – auch das genaue Gegenteil sehen: jedes Wort gebeugt und enger, kleiner zusammengedrückt, bis seine eigentliche Bedeutung mit einem Fingerschnipsen verschwindet. Dichter und Geschichtenerzähler können in beide Strömungen gezerrt werden, in den zügellosen Großbrand schöner Sprache oder in die markige Reduktion auf das knappe Farblose.
Wie die Kunst, so das Leben. Seht einen Mann ohne Finger hinter seinem Haus stehen. Er ist gerädert von einem Schlaf, der keine Ruhe bringt, keine Erleichterung von einer beschwerlichen Welt (und alldem), und seine Augen sind merkwürdig leer, er könnte sie auch zumachen, während er auf die zusammengekauerte Gestalt seiner Frau blickt, die irgendetwas Seltsames in ihrem Fleckchen von Gemüsegarten macht.
Der hier ist knapp. Das Sein ist in der Tat eine sehr schmale Öffnung. Seine Schwäche hat nichts damit zu tun, dass er sich aufgrund irgendeines Mangels an Intellekt nicht klar ausdrücken könnte. Nein, dieser Verstand ist überaus geschärft. Aber er betrachtet seine Armut an Worten – sowohl in Gedanken wie im Gespräch – als eine Tugend, ein Zeichen unbeugsamer Männlichkeit. Er hat aus Knappheit eine Besessenheit gemacht, eine Sucht, und in seinem endlosen Einsparen räumt er jede Hoffnung auf Gefühl und damit auf Einfühlungsvermögen aus. Wenn Sprache leblos ist, wozu dient sie dann noch? Wenn Bedeutung abgeschmolzen wird, welche Wahrheit hält dann noch an der Illusion von Tiefe fest?
Pah! zu solchen Einbildungen! Solch einem pingeligen, eigennützigen Getue! Poliere zügellos und lass die Welt dicht und durchdringend um dich herumwirbeln! Erzähle die Geschichte deines Lebens, wie du es leben würdest!
Ein entzücktes Wackeln mit den Fingern könnte jetzt auf spöttische Grausamkeit hindeuten, wenn ihr diesen fingerlosen Mann betrachtet, der still und ausdruckslos dasteht, während er seine Frau beobachtet. Entscheidet, wie ihr wollt. Seine Frau . Ja, dies ist seine Vorstellung, listig aus seiner Weltsicht geschnitzt (einer Weltsicht, die aufgrund ihres anhaltenden Scheiterns voller Erwartung und Wut ist). Was Besitz angeht, gibt es Regeln, und seine Frau darf die Grenzen nicht überschreiten, die von diesen Regeln gezogen werden. Das war für Gaz
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