Das Spiel der Götter 14: Die Stadt des blauen Feuers (German Edition)
eine Richtung blickten, wo das Bild einer Frau stand, die allen den Rücken zudrehte und sich so denjenigen verweigerte, die sie anflehten. Eine Mutter, die ihre Kinder zurückwies – sie konnte sehen, wie der Künstler sich mit all den nach oben gerichteten Gesichtern abgemüht hatte, konnte die Verzweiflung und den Kummer erkennen, die sie verzerrten – ja, sie waren mit Tränen gemalt.
»Ich muss zurück«, sagte sie.
»Zurück? Wohin?«
»Ins Lager, zu den Pilgern.«
»Ihr seid noch nicht stark genug, Hohepriesterin.«
Ihre Worte hatten dafür gesorgt, dass er ihren gewählten Namen nicht mehr benutzte. Er sah sie jetzt als Hohepriesterin. Es weckte in ihr ein leichtes Gefühl, als habe sie etwas verloren. Aber jetzt war nicht die Zeit, um über die Bedeutung solcher Dinge nachzudenken. Spinnock Durav hatte recht – sie war zu schwach. Allein schon diese Gedanken erschöpften sie. »Sobald ich kann«, sagte sie.
»Natürlich.«
»Sie sind in Gefahr.«
»Was soll ich tun?«
Jetzt wandte sie ihm wieder das Gesicht zu und sah ihn an. »Nichts. Das ist meine Sache. Und die Domänensers.«
Als sie diesen Namen erwähnte, zuckte der Tiste Andii zusammen. »Hohepriesterin …«
»Er wird mich nicht noch einmal zurückweisen.«
»Er ist verschwunden.«
»Was?«
»Ich kann ihn nicht finden. Es tut mir leid, aber ich bin mir ziemlich sicher, dass er nicht mehr in Schwarz-Korall ist.«
»Es spielt keine Rolle«, sagte sie und gab sich alle Mühe, ihren eigenen Worten zu glauben. »Es spielt keine Rolle. Er wird kommen, wenn er gebraucht wird.« Sie konnte sehen, dass Spinnock Durav skeptisch war, aber sie würde ihn deswegen nicht tadeln. »Der Erlöser hat mich an den Rand des Todes gebracht«, sagte sie, »um mir zu zeigen, was gebraucht wurde. Um mir zu zeigen, warum ich gebraucht wurde.« Sie machte eine Pause. »Klingt das arrogant? Das tut es, oder?«
Sein Seufzer klang rau. Er stand auf. »Ich werde wiederkommen und nachsehen, wie es Euch geht, Hohepriesterin. Und jetzt, schlaft.«
Oh, sie hatte ihn gekränkt, aber wie? »Wartet, Spinnock Durav …«
»Es ist in Ordnung«, sagte er. »Ihr habt mein Verhalten falsch gedeutet. Nun ja, vielleicht nicht ganz. Ihr habt davon gesprochen, dass Euer Gott Euch gezeigt hat, was gebraucht wurde – etwas, wonach wir Tiste Andii uns seit Ewigkeiten sehnen und das wir doch nie erlangen werden. Dann zweifelt Ihr an Euch selbst. Arroganz? Beim Abgrund hienieden, Hohepriesterin, ist es das, was Ihr empfindet, wenn der Erlöser Euch segnet ?«
Dann war sie allein im Zimmer. Kerzenflammen waberten im Luftzug von Spinnock Duravs Abgang, das aufgeregte Licht sorgte dafür, dass die Gestalten an der Wand sich wanden.
Doch immer noch stand da die Mutter, abgewandt.
Salind spürte einen Anflug von Ärger. Segne deine Kinder, Mutter Dunkel. Sie haben lange genug gelitten. Ich sage dies im Gefühl der Dankbarkeit gegenüber deinen eigenen Priesterinnen, die mir mein Leben zurückgegeben haben. Ich sage es im Namen der Erlösung. Segne deine Kinder, Frau.
Die Kerzen beruhigten sich wieder, die Flammen brannten ruhig, unempfänglich für Salinds schwache Bewegungen. Nirgendwo in diesem Raum war Dunkelheit, und das war, wie ihr klar wurde, Antwort genug.
Die Wände waren mit altem Blut bespritzt, das schwarz und darauf erpicht war, das Licht der Laterne zu verschlucken. Noch immer rieselte Staub aus Spannungsrissen im abgekippten Dach und erinnerte Domänenser daran, dass sich über ihm ein halber Berg erhob. Die oberen Etagen der Festung waren zermalmt, eingestürzt, doch auch nach so langer Zeit setzten sie sich immer noch. Vielleicht würden diese tieferen Tunnel schon bald nachgeben, und die gewaltige Ruine auf der ausgehöhlten Klippe würde einfach kippen und ins Meer rutschen.
Bis dahin gab es hier noch diese unbeleuchteten, sich windenden, unebenen Korridore, ein chaotisches Labyrinth, in dem niemand etwas zu suchen hatte, und dennoch durchzogen Fußspuren den dicken, körnigen Staub. Plünderer? Vielleicht, obwohl Domänenser sehr genau wusste, dass in diesen unteren Ebenen kaum etwas zu finden war. Er war viele Male durch diese Gänge gegangen, hatte für die verschiedenen Gefangenen des Pannionischen Sehers getan, was er konnte, obwohl es niemals genug war – nein, niemals genug.
Wenn es einen Fluch gab, einen überaus boshaften Fluch, durch den ein anständiger Mensch sich in unentrinnbarer Knechtschaft an eine Kreatur des reinen, ungebrochenen Bösen
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