Das Spiel der Könige - Gablé, R: Spiel der Könige
würde büßen lassen.
Sie schnaubte. »Das kann ich dir genau sagen: Du würdest einen sehr langsamen Verrätertod sterben, weil ich dich beschuldigen würde, dich mir unsittlich genähert zu haben, und in schätzungsweise drei Tagen wären englische Soldaten in Wales, um deine Schwester zu verhaften und ihrem sehnsüchtig wartenden Gemahl zu bringen.«
Julian nickte, schenkte sich nach und trank. Nichts rührte sich in seinem Gesicht. Ihre Drohungen waren ihm alles andere als neu.
Es hatte angefangen, als er kurz nach seinem zwanzigsten Geburtstag auf Befehl der Königin nach Kenilworth gekommen war, um ihr bei der Eintreibung der Steuern und Pachten behilflich zu sein, die der Krone aus dem Herzogtum Lancaster unddem Prince of Wales aus seinen Besitzungen zustanden. Auf dass sie sich rüsten und gegen die Machenschaften des Duke of York zur Wehr setzen konnten. Julian hatte jedoch bald gemerkt, dass Marguerite ihn nicht wegen seiner Qualitäten als Soldat an ihren Hof geholt hatte. Als sie ihm zu verstehen gegeben hatte, was es war, das sie von ihm wollte, war er nicht wenig geschmeichelt, vor allem jedoch schockiert gewesen, und ihre Avancen hatten ihm Angst gemacht. Er hatte versucht, ihr möglichst höflich auszuweichen, und da hatte sie ihm zum ersten Mal vor Augen geführt, welche Macht sie über ihn und die Seinen besaß. Dass sie nur mit den Fingern zu schnipsen brauchte, um sein Leben zu zerstören. Oder das seiner Schwester.
»Du solltest nicht vergessen, dass Wales unter englischer Herrschaft steht. Jasper Tudor mag dort ein mächtiger Mann sein und seine schützende Hand über deine Schwester halten, doch ist er ein englischer Kronvasall. Und unser Gesetz gilt dort ebenso wie hier. Also …«
Julian machte einen Schritt auf sie zu, beugte sich vor, zog sie unsanft auf die Füße und löste den Knoten des Schals, der ihre Hände gefesselt hatte. »Schon gut. Es ist wirklich nicht nötig, das immer wieder zu betonen.«
»Mir scheint hingegen, man kann dich gar nicht oft genug daran erinnern.« Marguerite zog ihr Unterkleid zurecht und schloss die Haken und Ösen. Ohne Hast oder Scham. Selbst nach den ausgefallensten Eskapaden war Marguerite niemals verlegen, sondern strahlte Überlegenheit und äußerste Gelassenheit aus. Und wie eh und je kam Julian nicht umhin, sie für ihren Schneid zu bewundern.
Sie trat zu ihm, sah ihm in die Augen, stahl ihm den Becher aus der Hand und trank. Konzentriert ließ sie den Wein über die Zunge rollen, schluckte und nickte. »Passabel. Genau wie du, Julian.«
Die Sommerhitze in den Midlands war feucht und drückend. Doch als Julian ins Freie trat, spürte er wenigstens einen Lufthauch,der vom Wasser her wehte. Kenilworth war eine ebenso wehrhafte wie schöne Burg aus einem rötlichen Stein, der in der Nachmittagssonne manchmal einen wundervollen matten Kupferglanz hatte, und die Burganlage war umgeben von einem See, der liebevoll »das Große Meer« genannt wurde. Außerhalb der trutzigen Burgmauern am jenseitigen Ufer hatte König Henrys Vater, der ruhmreiche Harry, vor rund vierzig Jahren ein komfortables Haus errichten lassen, wohin er sich vom Trubel des Hofes zurückziehen konnte. Dieses abgelegene, geradezu verschwiegene Refugium hatte die Königin als ihr Domizil gewählt, und Julian musste mit einem Ruderboot über das Große Meer paddeln, um die eigentliche Burg zu erreichen. Trotz der Hitze kam ihm die Bootsfahrt gelegen. Karpfen dümpelten knapp unter der Oberfläche des stillen Wassers, und im Uferschilf sangen Grillen. Es war friedvoll. Die gleichmäßigen Ruderschläge beruhigten ihn, und als er etwa die Hälfte des Sees überquert hatte, zog er die Riemen ein und schaute über das Wasser und auf die grünen Felder hinaus.
Die Gegend um Kenilworth war ganz anders als Kent. Das Land war flacher und dichter besiedelt. Die Wälder hier waren nicht so weitläufig. Trotzdem fühlte Julian sich von der Weite des Himmels an zu Hause erinnert, und er fand sein Gleichgewicht wieder in der majestätischen Stille auf dem See.
Es war früher Nachmittag − bei diesem Wetter meist eine Tageszeit schläfriger Ruhe −, und er hoffte, ungesehen zu seinem Quartier in dem alten Bergfried zu gelangen, denn er wollte nicht, dass seine Freunde merkten, wie lange er bei Marguerite gewesen war.
Als er durch das mächtige Torhaus in den Hof kam, war er erleichtert, diesen fast völlig verwaist zu finden. Er sah kein vertrautes Gesicht auf dem Weg zum Hauptgebäude.
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