Das Spiel der Könige - Gablé, R: Spiel der Könige
wieso?«, erkundigte sich Vater Michael.
Sie hob die Schultern. »Ein Fluch lastet auf den Hauskaplänen oben auf der Burg, Vater, das weiß doch jedes Kind in Waringham.«
Der Pfarrer seufzte vernehmlich.
»Es ist so, das glaubt mal«, beharrte Emily. »Lord Robert, dieser Teufel, hat sie verflucht. Der eine brach sich den Hals auf der Treppe, den nächsten holte die Schwindsucht, der letzte ist spurlos verschwunden. Das hat meine Mutter mir erzählt.«
»Deine Mutter, Gott hab sie selig, witterte hinter jedem natürlichen Unglücksfall finstere Machenschaften«, entgegneteVater Michael ungehalten. »Doch kann man ihr daraus keinen Vorwurf machen, denn ich kenne niemanden, der so viel Unglück im Leben hatte wie sie. Da fällt mir ein, wo ist dein Bruder, Adam?«
Der Angesprochene hob mit einem nachsichtigen Lächeln die Schultern. »Im Gestüt, schätze ich. Er hat einen neuen Freund, dem er auf Schritt und Tritt folgt, wann immer der ihn lässt.«
Julian war geneigt, seinen Augen zu misstrauen: Auf der Koppel hinter dem langgezogenen Stallgebäude der Zweijährigen stand Roland, hatte einem der jungen Hengste von unten den Arm um den Hals gelegt und die Stirn an die des Tieres gelehnt. Pferd und Knappe standen vollkommen reglos. Dann trat Roland zurück, fädelte einen Strick durch das Halfter und sagte etwas. Leander, bislang der wildeste unter den Zweijährigen, dem man sich nur unter Lebensgefahr nähern konnte, legte sich lammfromm ins Gras. Roland lachte leise. Es war das erste Mal, dass Julian ein natürliches, fröhliches Jungenlachen von ihm hörte.
Er hat die Gabe, erkannte Julian fassungslos. Die Erkenntnis versetzte ihm einen Stich, aber er drängte die hässliche Anwandlung von Neid hastig beiseite. Vielleicht ist das die Antwort für den Jungen, dachte er.
Roland winkte jemanden heran, den Julian von seinem Lauerposten an der Ecke des Stallgebäudes nicht sehen konnte. »Jetzt komm her, Mel. Keine Angst. Du kannst dich auf seinen Rücken setzen, Ehrenwort«, versprach Roland.
Julian stockte beinah der Atem, als er Adams schwachsinnigen Bruder auf das große Pferd zugehen und furchtlos auf den ungesattelten Rücken klettern sah. Er wollte einschreiten, um zu verhindern, dass der arme Junge sich den Hals brach, aber irgendetwas hielt ihn zurück. Roland schien sich seiner Sache so sicher. So souverän. Er wusste, was er tat.
Als Melvin saß, nahm Roland den Strick fest in die Rechte, und Leander kam elegant auf die Hufe. Roland betrachtete Pferdund Reiter einen Moment konzentriert, dann führte er sie am Zaun der Koppel entlang im Kreis. Nach zwei oder drei Runden schnalzte er Leander zu, begann zu laufen, und das Pferd – das sich bis vor einer Woche störrisch geweigert hatte, zu begreifen, was Gangarten waren – fiel neben ihm in einen weichen, gleichmäßigen Trab. Melvin jauchzte, reckte eine Faust in die Luft und machte keinerlei Anstalten, herunterzufallen.
Als Roland völlig außer Atem war, verlangsamte er, bis Leander wieder Schritt ging, zog den Strick aus dem Halfter, ging rückwärts vor dem Pferd her – was man niemals, niemals tun sollte –, und Leander folgte ihm wie ein hungriges Fohlen der Stute.
Julian öffnete das Gatter und ging bis zur Mitte der Koppel.
Als Roland ihn entdeckte, verschwand sein Lächeln, aber nur langsam und allmählich, nicht wie sonst, da es verlosch, sobald er seinen Onkel und Dienstherrn sah, als habe man eine Kerze ausgeblasen. Er hielt Leander an und fuhr ihm mit der Linken sacht über die weichen Nüstern. »Mylord, bevor Ihr irgendwas sagt …«
Julian hob eine Hand, um ihn zum Schweigen zu bringen. Kopfschüttelnd erwiderte er: »Keine Sorge. Ich bin … sprachlos.« Er nahm Melvins linken Unterarm. »Komm da runter, mein Junge.«
»Aber Mylord«, protestierte Roland. »Leander ist das reinste Lamm, solange Melvin draufsitzt.«
»Ich hab’s gesehen.« Julian klang immer noch, als sei er mit der Stirn vor einen Balken gelaufen. Und so fühlte er sich auch. »Trotzdem wäre mir wohler, wenn er wieder sicher auf seinen eigenen Füßen steht. Zumindest, bis du mir erklärt hast, was das alles zu bedeuten hat. Komm schon, Melvin, tu, was ich dir sage.«
Gehorsam, aber unverkennbar enttäuscht glitt der schlaksige Jüngling von Leanders Rücken. Als er vor Julian stand, verdrehten seine Augen sich nach oben. Erst jetzt fiel Julian auf, dass es keinmal passiert war, solange der Junge geritten war.
Roland gab ihm den Strick. »Bring ihn
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