Das Spiel der Könige - Gablé, R: Spiel der Könige
weg, Mel. Dann gehnach Hause, eh du wieder Ärger bekommst, he. Wir seh’n uns morgen.«
Melvin zog den Strick durch den Ring am Halfter und führte Leander Richtung Stall. Julian wartete darauf, dass dieser störrische Satansbraten die unerfahrene Hand spürte und sich losriss. Aber nichts passierte.
Julian schüttelte fassungslos den Kopf. »Wenn mir das jemand erzählt hätte, hätte ich es vermutlich nicht geglaubt.«
Roland hatte sich halb abgewandt, ließ ihn nur noch sein Profil sehen, und zuckte bockig die Schultern.
»Roland, kannst du mir erklären, wieso du monatelang einen Bogen um das Gestüt gemacht hast, obwohl du die Gabe besitzt?«
»Weil Ihr sie nicht habt. Ich hatte Angst, wenn Ihr es merkt, hasst Ihr mich noch mehr.«
»Ich hasse dich nicht«, gab Julian ungehalten zurück.
»Ach nein?« Ganz der alte Roland: zornig, bitter, verächtlich.
»Wirst du mir verraten, was du hier eben gemacht hast? Warum Melvin nicht mit gebrochenen Gräten im Gras liegt und Leander jetzt nicht reiterlos Richtung Tain galoppiert?«
Im ersten Moment sah es aus, als wolle Roland ihm die Antwort verweigern. Aber offenbar war die Erregung über seine verblüffende Entdeckung einfach zu groß, um die kühle Zurückhaltung aufrechtzuerhalten. »Melvin hat eine glückliche Hand mit Pferden. Das ist mir vor Monaten schon aufgefallen. Er hat keine Angst vor ihnen und umgekehrt. Sie sind …« Er schwieg verlegen, dann sagte er es doch. »Sie sind sich irgendwie ähnlicher, als normale Leute einem Pferd sein könnten. Sie verstehen sich einfach.«
Julian nickte. »Das hab ich gesehen.«
»Sir Geoffrey war verzweifelt wegen Leander. Er hat gesagt, der Gaul sei ein hoffnungsloser Fall, und war schon drauf und dran, ihn zum Schlachter zu bringen. Da bin ich hergeschlichen und hab ihn mir vorgenommen. Ähm, ich meine Leander, Sir, nicht den Stallmeister.«
»Weil du es bist, war ich einen Moment nicht ganz sicher, Roland«, gestand Julian mit unbewegter Miene.
Der Knappe grinste flüchtig. »Es ist nichts Boshaftes an dem Hengst«, fuhr er fort. »Er ist nur nicht daran interessiert, sich zähmen zu lassen. Reiter gehorsam von einem Ort zum anderen zu tragen, nach ihren Regeln. Er denkt nicht dran.« Rolands Bewunderung für so viel Freiheitsdrang war unüberhörbar. »Aber gegen Melvin hegte er keinen Argwohn. Also hab ich’s versucht. Ich hab sie … aneinander gewöhnt.«
»Wie?«, fragte Julian fasziniert.
Roland breitete kurz die Hände aus. »Ich hab Melvin sonntags hergebracht, wenn Geoffrey … Sir Geoffrey in der Kirche ist und es nicht sieht, versteht Ihr. Erst hat er ihn gestreichelt, dann geputzt, dann geführt, dann hab ich ihn aufsitzen lassen. Jeden Sonntag ein Schrittchen weiter. Und vorgestern hat Leander sich zum ersten Mal einen Sattel auflegen lassen. Der Stallmeister konnt’s kaum fassen. Aber ich hab gemerkt, wie das Pferd sich verändert hat. Es wird … langmütiger. Es hat Vertrauen gefasst. Früher oder später wird es nachgeben. Freiwillig, meine ich. Oder das würde es, wenn ich die Chance bekäme, es auf meine Art zu versuchen. Oder auf Melvins Art, muss man wohl sagen.«
»Wieso in aller Welt hat der Junge keine Arbeit hier?«, fragte Julian plötzlich.
Roland schüttelte den Kopf. »Ich glaube nicht, dass Sir Geoffrey ihn nehmen würde. Melvin kann nicht reiten, nicht im herkömmlichen Sinne jedenfalls.«
»Na und? Es gibt andere Dinge zu tun. Stallburschen, die nichts im Sinn haben, als beim Reiten ihren Hals zu riskieren, haben wir hier weiß Gott zur Genüge. Ich rede mit Geoffrey.«
Roland sah ihn ungläubig an. »Das … würdet Ihr tun? Für einen Schwachsinnigen?«
Julian zuckte die Achseln. »Für das Gestüt genauso«, entgegnete er brüsk.
»Oh, Mylord …«, begann Roland und brach dann so plötzlich ab, als habe er sich die Zunge abgebissen.
»Was?«
Roland schüttelte den Kopf, und man konnte zusehen, wie er seinen kindlichen Enthusiasmus niederrang und wieder auf sichere Distanz ging. »Es wäre großartig für Melvin.«
»Er hat’s nicht gerade leicht mit der Frau seines Bruders, was?«
»Nein, Sir. Sie hasst ihn.«
»Dein Lieblingswort«, spöttelte Julian.
»Aber in dem Fall stimmt’s, da könnt Ihr sicher sein. Sie hasst ihn für das, was er ist. Weil seine Eltern … Ihr wisst schon.«
Julian nickte. »Aber wie kommt es, dass du davon weißt?«
»Ich lebe seit einem Jahr hier. Da schnappt man allerhand auf. Hier wissen es doch alle.«
Julian lehnte
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