Das Spiel der Könige - Gablé, R: Spiel der Könige
zu. Ehemein Bruder seinen Thron nicht zurück hat, kann ich Richmond nicht nach England bringen. Du weißt, warum.«
Julian nickte. »Ich weiß, warum.«
Anfang Juli kam König Louis nach Angers, und sein zahlreiches, lärmendes Gefolge verwandelte die gewaltige Burg am Ufer der Maine in ein Tollhaus. König Louis selbst war, soweit Julian es aus der Distanz beurteilen konnte, ein ruhiger, besonnener und zielgerichteter Mann von etwa fünfzig Jahren, elegant, aber schlicht gekleidet und glatt rasiert. Er hatte eine unglaublich lange Nase und Augen, die alles gesehen zu haben schienen, was die Welt an Enttäuschungen und Niedertracht bereithielt. Das war wohl kein Wunder, bedachte man, dass dieser König ständig um sein Leben hatte bangen müssen, bis sein Vater diese Welt endlich verlassen hatte und, so mutmaßte Julian, geradewegs in die Hölle hinabgefahren war.
Louis verfolgte ein ehrgeiziges Ziel: Er wollte der französischen Krone ihre einstige Macht zurückgeben. Dazu war es notwendig, das Reich des Herzogs von Burgund zu zerschlagen oder lieber noch dem seinen einzuverleiben. Solange Burgund und England verbündet waren, bestand für Louis kaum Hoffnung auf Erfolg. Doch wenn das Haus Lancaster die englische Krone wiedererlangte und der König von England sein Verbündeter würde, sahen die Dinge völlig anders aus.
»Ich finde es beruhigend, dass Louis solch ein großes persönliches Interesse an unserem Erfolg hat«, vertraute Julian Prinz Edouard an. »So können wir einigermaßen sicher sein, dass er nicht im entscheidenden Moment umkippt.«
Der junge Mann spannte seinen Bogen, kniff das rechte Auge zu und konzentrierte sich auf die runde Zielscheibe, die hundert Schritt entfernt stand. »Das sagt Mutter auch«, antwortete er. »Aber wenn ich ehrlich sein soll, mache ich mir mehr Sorgen wegen der dynastischen Pläne.« Er ließ den Pfeil aus der Sehne schnellen und folgte der Flugbahn mit den Augen. Das Geschoss verfehlte sein Ziel um etwa einen Fuß. »Verflixt!«,schimpfte der Prinz und ergriff einen neuen Pfeil. »Ich kann mir nicht vorstellen, Warwicks Tochter zu heiraten. Warwick war unser Feind, solange ich denken kann.«
»Du kannst schießen oder reden, Edouard«, bemerkte Jasper, der mit verschränkten Armen an der Burgmauer lehnte und ihnen zuschaute. »Beides geht nicht.«
»Das werden wir ja sehen«, gab sein Neffe zurück.
Julian spannte seinen Bogen, zielte ohne Hast, schoss und traf ins Zentrum der Scheibe.
»Großartig«, knurrte der junge Prinz verdrossen, und die beiden Männer lachten.
Sie waren dem hektischen Treiben im Innern der Burg entflohen und hatten sich auf den Schießstand begeben, der außerhalb der Mauern auf der dem Fluss abgewandten Seite der Anlage lag, um ungestört zu sein und gleichzeitig ihre Kriegskünste zu pflegen. Denn sie würden sie bald wieder brauchen, das wussten sie alle.
Edouard zielte dieses Mal mit mehr Konzentration und wurde prompt belohnt. »Ha!« Es klang hochzufrieden.
»König Louis hingegen liebt Warwick wie einen Bruder«, nahm Jasper den Faden der Unterhaltung wieder auf. »Darum wird er deine Mutter überreden, dieser Heirat zuzustimmen. Also besser, du gewöhnst dich an den Gedanken.«
Der Prinz hob gleichmütig die Schultern. »Im Grunde ist es völlig ohne Belang, was Onkel Louis denkt. Tatsache ist: Dieser ganze Plan kann nur funktionieren, wenn diese Heirat stattfindet. Und das weiß auch Mutter, selbst wenn sie noch so tut, als sträube sie sich.«
Guter Junge, dachte Julian zufrieden. Ein sechzehnjähriger Prinz, der in der Lage war, sich mit den politischen Notwendigkeiten abzufinden, gab Anlass, auf einen guten König zu hoffen. »Es gibt grausamere Schicksale, als Anne Neville heiraten zu müssen, glaub mir«, versicherte er Edouard. »Jeder Mann in England wird dich um diese Frau beneiden, egal ob Yorkist oder Lancastrianer.«
Der Prinz sah ihn neugierig an und lächelte unsicher. »Ist das wahr? Erzählt mir noch ein wenig von ihr, Mylord.«
»Ich glaube, das wird nicht nötig sein«, murmelte Jasper. Er hatte sich von der Mauer gelöst, sah an ihnen vorbei zur Straße und hatte die Augen mit der Hand beschattet. Dann nickte er. »Da kommt deine mutmaßliche Braut, mein Prinz.«
Julian folgte seinem Blick. »Mit ihren Eltern, ihrer Schwester und ihrem Schwager Clarence, dieser widerwärtigen Ratte.«
»Wo?«, der Prinz drängte sich zwischen sie, aber weder Warwick noch dessen Schwiegersohn interessierten
Weitere Kostenlose Bücher