Das Spiel der Könige - Gablé, R: Spiel der Könige
erwartungsgemäß possenhaft: Der König hatte einen seiner ganz schlechten Tage, faselte unzusammenhängend, sprach mit seiner Mutter oder Julians Vater oder anderen längst entschwundenen Freunden, die in seiner Verwirrung offenbar realer waren als die Menschen im Raum.
Richmond erduldete diese bizarre Audienz mit unbewegter Miene. Als der König ihn bat, ihm den Arm zu reichen, stützte der Jüngling seinen greisen Oheim mit Umsicht und beinah so etwas wie Zärtlichkeit.
»Wie war doch gleich Euer Name, mein junger Freund?«, fragte der König ihn liebenswürdig.
»Henry Tudor, Sire«, antwortete Richmond geduldig. Er setzte den König behutsam in einen weich gepolsterten Sessel. »Mein Vater hat mich nach Euch benannt.«
Ein Lächeln huschte über Henrys Gesicht, und er nickte. »Und Euer Vater ist …?«
»Edmund Tudor, mein König. Euer Halbbruder.«
»Ah, richtig, richtig. Es geht ihm gut, hoffe ich?«
Richmond schaute unsicher zu Julian und fing das heftige, flehentliche Nicken des Kammerdieners auf. »Prächtig, Mylord.«
»Freut mich zu hören. Es gab ein Gerücht, Black Will Herbert habe ihn auf einer meiner walisischen Burgen gefangen gesetzt …«
Julian war immer wieder erstaunt darüber, welche Erinnerungsbruchstücke plötzlich ans Licht kamen, wenn der Geist des Königs sich vernebelt hatte.
Richmond hockte sich neben Henry und nahm die magere, blaugeäderte Hand in seine. »Er hat ihn wieder freigelassen. Seid unbesorgt, Sire.«
Henry strahlte ihn an. »Und Euer Name ist …?«
Julian verdrehte die Augen, der Kammerdiener schüttelte kummervoll den Kopf, und Richmond antwortete mit der Geduld eines Engels. Julian erkannte den Jungen kaum wieder.
Als Henry zur allgemeinen Erleichterung schließlich kundtat, der heilige Pankratius erwarte ihn und er wolle vorher noch ein bisschen beten, führte Julian seinen jungen Begleiter aus den überheizten Gemächern zurück ins Freie. Der Himmel hatte sich zugezogen, und der Fluss spiegelte seine stahlgraue Farbe wider, aber noch war es trocken. Ein ungemütlicher Herbstwind fegte durch die Höfe des Palastes.
Richmond zog den Mantel fester um sich. »Jetzt verstehe ich, warum Warwick den König vor der Welt versteckt«, sagte er nachdenklich. »Es wäre nicht gut für das Vertrauen der Menschen, wenn sie ihn so sähen.«
Julian nickte. »Er ist nicht immer so«, sagte er. »Ich bedaure, dass du ihn an einem Tag wie heute kennen lernen musstest. Jedenfalls warst du sehr gut zu ihm. Das ehrt dich.«
»Es ehrt mich überhaupt nicht«, gab Richmond verblüfft zurück. »Er ist der Bruder meines Vaters, er ist der König, und er ist ein kranker alter Mann, dem das Schicksal sehr übel mitgespielt hat. Du scheinst zu denken, ich besäße keinen Anstand, weil ich unter Yorkisten aufgewachsen bin, ja?«
Julian blieb stehen und betrachtete ihn kopfschüttelnd. »Ich denke nur das Beste von dir, mein Junge. Du bist derjenige, der keine besonders hohe Meinung von sich hat, scheint mir.«
»Wo gehen wir eigentlich hin?«, fragte Richmond. »Zum Pferdestall geht’s da lang.« Er wies mit dem Daumen über die Schulter.
Julian nickte ungerührt. »Wir reiten noch nicht zurück. Ich möchte, dass wir noch kurz im Kloster vorbeischauen.«
»Im Kloster?«, wiederholte der Junge verständnislos. »Wozu?«
Julian antwortete nicht direkt. »Wusstest du, dass dein Onkel Owen dort lebt?«
»Wirklich?« Es klang erfreut.
»Er sieht aufs Haar so aus wie dein Großvater. Der gleiche Feuerkopf. Erinnerst du dich an deinen Großvater?«
Richmond lächelte unwillkürlich. »Allerdings. Er war oft in Pembroke, als wir noch dort lebten. Er konnte großartig Geschichten erzählen …«
Richmond lebte sichtlich auf, während er Julian von den Erinnerungen an seine sehr kurze, unbeschwerte Kindheit in Pembroke Castle berichtete, und er achtete nicht mehr auf den Weg, den sie nahmen. Ohne erkennbaren Übergang gelangten sie vom Palast in die Klosteranlage, überquerten eine nasse Wiese zu einem großen Gästehaus, und als Julian die Tür öffnete, schlugen ihnen Wärme und der Duft von Wachskerzen entgegen.
Sie betraten einen hellen, kostbar möblierten Raum. In einem Sessel am Kamin saß eine zierliche Frau mit einem Buch auf dem Schoß, die Richmond für eine Nonne gehalten hätte, hätte der grauhaarige Mann, der hinter dem Sessel stand, nicht die Hand auf ihre Schulter gelegt.
Beide sahen auf, als sie die Tür hörten.
Julian nahm Richmond sicherheitshalber beim
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