Das Spiel der Könige - Gablé, R: Spiel der Könige
dass es ihr viel zu großen Spaß machte, Warwick zappeln zu lassen, um schon wieder damit aufzuhören. Der yorkistische Thronräuber sitze warm und sicher in Burgund und knüpfe Netze wie eine Spinne, hatte sie geschrieben. Solange die Macht Burgunds nicht gebrochen sei, könne Lancasters Thron in England nicht als sicher betrachtet werden, und sie denke nicht daran, ihren Sohn ins Ungewisse zu führen. Im Übrigen seien dieEngländer immer so kühl zu ihr gewesen, dass die Sehnsucht nach ihrer Königin sich doch gewiss noch in Grenzen hielt.
Julian ärgerte sich über ihre kleinliche Rachgier, mit der sie die Zukunft ihres Sohnes und aller Lancastrianer in Gefahr brachte, aber auch er wurde von der allgemeinen Hochstimmung und Zuversicht während des Parlaments angesteckt.
Seine größte Freude war es, Richmond und Megan zu beobachten. Nicht jeden Tag, aber doch auffallend häufig sattelte der Junge sich ein Pferd und ritt zum Palast des Bischofs von London, um seine Mutter zu besuchen. Sie lieh ihm Bücher, und er erzählte ihr von Wales und seiner Verbundenheit zu dem Land seiner Vorfahren. Sie sprachen über England, über Frankreich, über Theologie und Rechtswissenschaft, und jedes Mal, wenn Richmond heimkam, zeigte er sich tief beeindruckt von der Bildung seiner Mutter. Megan Beaufort mangelte es an mütterlichen Instinkten. Doch Richmond war schon zu alt, um sich ihre Mütterlichkeit jetzt noch zu wünschen. Stattdessen geschah genau das, was Julian erhofft hatte: Mutter und Sohn wurden Freunde. Und man konnte sehen, wie gut ihnen beiden diese Freundschaft tat. Megan entwickelte ein bislang ungekanntes Interesse an den Belangen der Welt und der Menschen und wagte sich häufiger als früher aus dem Schneckenhaus, das ihre Einkehr gewesen war. Richmond überwand einen Gutteil seiner Bitterkeit. Er entdeckte völlig neue Gedanken in den Büchern seiner Mutter, die vom Wert und der Würde jedes einzelnen Menschen sprachen, und ganz allmählich begann er, Vertrauen zur Welt und zu sich selbst zu fassen.
Jasper beobachtete diese Veränderungen mit dem so typischen Argwohn, Julian und Blanche mit Freude. Und als das Parlament sich in der zweite Adventwoche bis nach Neujahr vertagte, war es Blanche, die vorschlug, noch ein paar Wochen in London zu bleiben und den Aufbruch nach Waringham zu verschieben, um Megan und ihren Sohn nicht früher als nötig auseinanderzureißen.
»Aber ich dachte, du kannst es nicht erwarten, Waringham wiederzusehen«, wandte Julian zweifelnd ein.
Seine Schwester nickte. »Trotzdem. Was du hier vollbracht hast, ist ein Wunder, Bruder. Für Richmonds Seelenfrieden bin ich gerne bereit, noch ein paar Wochen zu warten. Waringham kann mir ja nicht davonlaufen.«
Julian willigte ein. »Also schön. Verbringen wir Weihnachten in der Stadt. Wir können mit den Kindern zu den Weihnachtsschauspielen der Zünfte und Gilden gehen. Die sind so blutrünstig, dass Robin und Owen ihre Freude haben werden.«
Waringham, März 1471
Bei herrlichstem
Frühlingssonnenschein kamen sie nach Hause. Der Himmel über Kent war weit und blau, und auf dem Burghügel blühten die Narzissen.
Nachdem sie in den Burghof eingeritten und abgesessen waren, kamen Menschen aus dem Bergfried und dem neuen Wohngebäude herbeigelaufen, um sie zu begrüßen. Frederic of Harley, der taubstumme Steward, überreichte Julian eine vorbereitete Tafel. Julian las, lachte und klopfte seinem Steward die Schulter.
Blanche sah sie nur aus dem Augenwinkel. Gründlich schaute sie sich im Burghof um, ließ den Blick über die neuen Gebäude schweifen, stellte fest, dass das Strohdach der Kapelle durch Schiefer ersetzt worden war, und versuchte ohne großen Erfolg, ihrer Gefühle Herr zu werden.
Plötzlich legte sich ein Arm um ihre Schultern. »Ist der Anblick nach fünfzehn Jahren Abstinenz so abscheulich, dass du ihn beweinen musst?«, erkundigte sich ihr Bruder.
Blanche zog unfein die Nase hoch, fuhr sich mit dem Ärmel über die Augen und lächelte verschämt. »Im Gegenteil. Es ist schöner, als ich es in Erinnerung hatte. Ich … Oh, keine Ahnung, Julian. Am besten kümmerst du dich gar nicht um mich. Ich bin nur rührselig.« In Wahrheit beweinte sie wohl das junge Mädchen, das vor fünfzehn Jahren so voller Zuversichtund Neugier auf die Welt von hier aufgebrochen war, und das war albern. Das Mädchen hatte ein paar bittere Enttäuschungen erlebt, wie sie niemandem erspart blieben, das war alles.
Jasper trat zu ihnen.
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