Das Spiel der Könige - Gablé, R: Spiel der Könige
missfällig.
Seine Mutter legte ihm die Hand auf den Arm. »Der kleine Edward. So ein niedlicher, unschuldiger Engel. Wir alle sollten uns davor hüten, ihm zu verübeln, wer sein Vater ist.«
Richmond nickte unwillig, aber Julian sah, was er dachte: Das Haus York hat einen neuen Thronerben. Jemanden, der den Lancaster auch in der nächsten Generation ihr Recht auf die Krone streitig machen kann. Wie manch anderer Lancastrianer glaubte auch Richmond, dass erst Ruhe einkehren werde, wenn der letzte York sechs Fuß unter der Erde lag. Aber in Gegenwart seiner Mutter äußerte niemand solch unchristliche Gedanken.
»Nun, ich habe jedenfalls keine Lust, der yorkistischen Königin und ihrer Brut zu begegnen«, bekundete der junge Mann. »Auch wenn meine Mutter der Auffassung ist, dass sie zu bedauern seien und unserer Barmherzigkeit in besonderem Maße bedürfen.« Er sagte es mit leisem Spott, aber Julian merkte sehr wohl, wie tief der Junge von seiner Mutter beeindruckt war.
Megan, die selbst neben ihrem vierzehnjährigen Sohn puppenhaft klein wirkte, sah mit einem warmen Lächeln zu ihm auf. »Ich wäre nicht besorgt um Elizabeth und ihre Kinder, wenn sie von deiner Barmherzigkeit abhingen, mein Sohn.«
Julian küsste Megans Hand und drückte die zierlichen Finger für einen Augenblick an seine Stirn. »Leb wohl, Cousinchen.«
»Leb wohl, Julian. Und nochmals danke. Das werde ich dir nie vergessen.«
»Ich auch nicht«, murmelte Richmond gallig.
Julian grinste verstohlen und fragte Megan: »Wo werdet ihr wohnen während des Parlaments?«
»Im Palast des Bischofs von London. Ich ginge lieber in unser eigenes Haus, aber wir können seine Einladung nicht ausschlagen.«
»Dann werden wir viel voneinander sehen in den nächsten Wochen.«
Sie nickte. »Es wird sein wie in alten Zeiten. Jedenfalls beinah.«
Auch Richmond ergriff die Hand seiner Mutter und führte sie nach kurzem Zögern an die Lippen. Man sah, dass es noch ungewohnt für ihn war. »Auf bald, Mutter.«
Sie legte die freie Hand an seine Wange. »Je eher, desto besser.«
Julian schlug auf dem Rückweg ein scharfes Tempo an, um wieder warm zu werden. Erst als das Stadttor in Sichtweite kam, zügelte er Ascanius. Richmond folgte seinem Beispiel und fiel neben ihm in Schritt.
Schließlich brach Julian das Schweigen. »Entschuldige, Richmond. Es war unfair und hinterhältig.«
»Ja. Das war es wohl«, bekam er zur Antwort. Es klang, als wisse der junge Mann nicht so recht, was er von dieser Erkenntnis halten sollte. »Ich nehme an … du hast es für meinen Vater getan oder irgendetwas in der Richtung? Weil er es gewollt hätte?«
»Nein.« Julian wandte den Kopf und sah ihn an. »Ich hab’s für dich getan. Aber wenn ich dich vorgewarnt hätte, wärst du davongelaufen. Darum ging es nur so. Ich hoffe, du kannst mir irgendwann verzeihen. Es muss ja nicht auf der Stelle sein.«
Ein Lächeln stahl sich in Richmonds Mundwinkel. »Ich bin froh, dass du’s getan hast. Sie ist … Ich glaube, meine Mutter ist der außergewöhnlichste Mensch, dem ich je begegnet bin.«
»Ja. So geht es mir auch.«
Richmond nickte und hüllte sich wieder in Schweigen. Als sie St. Bride passierten, sagte er: »Trotzdem, Julian. An dem Tag, da ich einundzwanzig und Earl of Richmond werde, wird abgerechnet.«
Julian lachte in sich hinein. »Ich kann’s kaum erwarten, Bübchen …«
Das Parlament, das sich Anfang November versammelte, begann seine Arbeit damit, die Entrechtungen und Enteignungen zurückzunehmen, die in Zeiten yorkistischer Herrschaft so viele Lancastrianer getroffen hatten. Jasper Tudor war einer der Ersten, der seinen Titel als Earl of Pembroke und seine Ländereien zurückbekam.
Der Earl of Warwick brillierte auf der politischen Bühne; selbst die Commons, die ihm immer misstraut hatten, fraßen ihm nach wenigen Tagen aus der Hand. Mit rauschenden Festen und prächtigen Banketten feierten die Lancastrianer sich selbst und die Rückkehr von Recht und gottgewollter Ordnung. Nach der langen Düsternis des Krieges im eigenen Land war die Ausgelassenheit kaum zu zügeln, und oft sah man Lords der Welt und der Kirche auf den Fluren des Palastes oder in den prächtigen Hallen beisammenstehen und einander versichern, alles sei aufs Beste gerichtet und es werde Zeit, dass Marguerite und Prinz Edouard endlich nach Hause kämen.
Marguerite hatte diesbezüglich freilich keine besondere Eile. Zwischen den Zeilen ihrer Antwort hatte Julian gelesen,
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