Das Spiel der Könige - Gablé, R: Spiel der Könige
»Ich könnte in Versuchung geraten, genauso sentimental zu werden wie du«, gestand er.
»Dann sollte ich wohl lieber das Weite suchen …«, befand Julian.
Jasper beachtete ihn nicht und wies auf ein Eckfenster im obersten Stockwerk des Bergfrieds. »Da oben haben meine Brüder und ich gewohnt. Seltsam. Ich hätte nicht gedacht, dass ich mich daran erinnern würde. Es waren nur ein paar Wochen, und ich war … ich weiß nicht mehr. Sieben vielleicht.«
»Du warst sechs, Jasper Tudor«, sagte eine energische, fröhliche Stimme hinter ihnen.
Er wandte sich um, und einen Moment betrachtete er die ältere Dame vor sich verwirrt, dann breitete sich ein ungewöhnlich strahlendes Lächeln auf seinem Gesicht aus. »Kate!« Er nahm ihre Hände. »Wie furchtlos du meine Brüder und mich vor deinem grässlichen Cousin Robert beschützt hast.«
Sie lachten, und Kate umarmte ihren Bruder, vor allem ihre Schwester mit großer Herzlichkeit. »Willkommen zu Hause, Blanche. Komm mit hinein. Ich habe unsere schönsten Gästekammern herrichten lassen, die einzigen im neuen Haus, von denen man den Garten sehen kann, obwohl es natürlich noch viel zu früh für die Rosen ist.«
»Danke, Kate. Aber wenn du keine Einwände hast, würde ich gern zuerst zu Mutter und Vater gehen.«
»Natürlich.« Kate drückte noch einmal kurz ihre Hand, ließ sie dann los und wandte sich an Julian. »Du wirst feststellen, dass nicht alle Dinge hier zu deiner Zufriedenheit stehen, Bruder«, bemerkte sie mit leicht gerunzelter Stirn.
»Das wäre ja auch zu schön, um wahr zu sein. Was hat’s gegeben?«
»Komm erst einmal mit hinein.«
»Aber …«
Kate hörte nicht hin. »Janet!« Sie warf einen diskreten und doch unübersehbaren Blick auf den gewölbten Bauch ihrer Schwägerin. »Ich fass es einfach nicht. Schon wieder?«
»Kein Grund, mich so strafend anzusehen. Nur dein Bruder ist schuld«, wehrte die Countess ab.
»Ich würde sagen, dazu gehören immer zwei«, verteidigte sich Julian.
»Ja, du meine Güte, Lucas Durham, willst du die Pferde wohl den Knappen überlassen?«, schalt Kate. »Ab nach oben mit dir. Meine Tochter und mein Enkel erwarten dich sehnsüchtig.«
Er verneigte sich respektvoll vor ihr. »Was immer Ihr sagt, Mylady«, und trollte sich schleunigst.
Blanche beobachtete sie alle aus einigen Schritten Entfernung und fühlte sich ausgeschlossen und verstoßen. Dabei wusste sie genau, dass sie ihrem Bruder, ihrer Schwägerin und ihrer Schwester in Waringham willkommen war, aber sie gehörte nicht mehr wirklich hierher. Julian, seine Familie, Kate mit ihren Kindern und der ganze Haushalt – sie alle hatten ihren festen Platz in Waringham und bildeten eine Gemeinschaft. Vermutlich gingen sie sich auch oft auf die Nerven und stritten und hatten genau die gleichen Sorgen und Nöte wie andere Leute auch, aber von außen betrachtet wirkten sie stark, fast unverwundbar.
Blanche wandte sich ab, ehe ihr Gesicht ihre widersprüchlichen Gefühle preisgeben konnte, zu denen auch eine gehörige Portion Neid zählte, und ging um die Kapelle herum auf den kleinen Friedhof. Jasper sah ihr nach, ließ sie aber zufrieden.
Am Fuß der Sommerlinde fand Blanche das Grab ihrer Eltern. Sie blieb davor stehen, senkte den Kopf und betete eine Weile. In den Zweigen der Linde, die den ersten grünen Flaum trugen, sang ein Stieglitz. Als der Vogel verstummte, sagte Blanche leise: »Ich wünschte, du wärest hier, Vater.«
Seit Wochen plagten sie düstere Vorahnungen. Sie wusste nicht, woher sie kamen. Möglicherweise hatte sie etwas geträumt, woran sie sich nicht erinnern konnte. Jedenfalls spürte sie das Herannahen eines Unheils, und nach Waringhamgekommen zu sein hatte Blanche ihre eigene, prekäre Lage nur wieder aufs Neue bewusst gemacht. Selbst wenn Jasper sie, die Kinder und Richmond nach Pembroke zurückbrachte und sie alle dort wieder in Sicherheit zusammenleben würden, würde sie dort doch nie etwas anderes sein als die Mätresse des Earl, ihre Kinder seine Bastarde. Normalerweise war ihr das gleich. Aber seit ihr Optimismus sie auf so unerklärliche Weise verlassen hatte, war sie von Ängsten geplagt.
Die Stille und die Frühlingsdüfte auf dem kleinen Kirchhof taten ihr indessen wohl. Getröstet machte sie eine gemächliche Runde durch den noch winterlich anmutenden Rosengarten und kehrte schließlich in den Burghof und zum neuen Wohnhaus zurück.
»… soll das heißen, du hast sie geheiratet?«, hörte sie die Stimme ihres
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