Das Spiel der Könige - Gablé, R: Spiel der Könige
der Erzschurke Clarence der gefährlichste dieser Brüder war.
»Jetzt ist es genug«, beschied der König verdrossen. »Schafft ihn weg und sperrt ihn in den Tower. Ich würde hier gern bald zu einem Ende kommen.«
Zwei Soldaten packten den Earl of Waringham links und rechts und zerrten ihn von dem Podest. Julian schaute seineverurteilten Kampfgefährten an, als er an ihnen vorbeiging. Er sah Neid in einem Augenpaar, Hass in dem nächsten, Fatalismus und einen schon beinah unirdischen Frieden in den letzten beiden.
Julian schämte sich. »Es tut mir leid, Freunde«, sagte er. »Es war nicht meine Wahl, und ich wäre lieber mit Euch gegangen.«
Er bekam keine Antwort, und die Wachen stießen ihn vorwärts.
»Courtenay, Ihr seid der Nächste«, hörte er Hastings sagen, und als die Zuschauergasse sich für Julian geöffnet und dann wieder geschlossen hatte, hörte er noch Edwards Stimme – »Vollstrecken« – und das Fallen des Beils.
»Gott«, murmelte Julian. »Was tust du nur mit mir?«
»Wie es aussieht, ist er noch nicht mit Euch fertig, Mylord«, antwortete einer der Soldaten grimmig. »Vielleicht ist ein Beil ein gar zu leichtes Ende für einen wie Euch.«
London, Mai 1471
Julian musste in den
folgenden Tagen oft an diese Worte denken.
Die Wachen hatten die Befehle des Königs sehr wörtlich genommen, hatten ihn nach London gebracht, in ein modriges Loch unter dem Beauchamp Tower gesperrt und dann vergessen. Er bekam weder zu essen noch eine Decke oder Wasser, und er litt quälenden Durst, weil er hohes Fieber hatte. Er konnte die Schulterwunde nicht sehen, aber sie brannte und pochte, und er wusste, sie hatte sich entzündet. War vermutlich brandig. Also war es offenbar das, wofür Gott und Adam ihm das Henkersbeil erspart hatten: einen langsamen, qualvollen Tod unter Durst und Fieberwahn.
Julian nahm es mit untypischer Ergebenheit. Oft dämmerte er stundenlang in einem unnatürlichen Halbschlaf vor sichhin, sodass er nicht viel spürte, aber wenn er wach war, lag er mit offenen Augen in der Dunkelheit auf dem fauligen Stroh, spürte den Schmerz und den Durst, das Brennen des Fiebers und die bittere Kälte des Schüttelfrosts und erduldete sie fast mit so etwas wie Dankbarkeit, weil er sie verdient hatte. Und jeder Tag, den er im Diesseits länger für Prinz Edouards Tod büßte, vergrößerte vielleicht seine Chancen, für diese furchtbare Sünde nicht in die Hölle zu kommen. Denn auch wenn er sterben wollte, wollte er doch nicht in die Hölle. Er fürchtete sich davor. Je höher das Fieber stieg, desto mächtiger wurde seine Angst vor der ewigen Verdammnis, den Teufeln und Dämonen mit ihren Feuern und Marterwerkzeugen. Er hatte es doch nicht mit Absicht getan. Er hatte es nicht gewollt. Er hatte doch nur sein Bestes getan, um Lancasters Thron zu retten. Und dann fiel ihm ein, was sein Vater oft und gern gesagt hatte: Der Weg zur Hölle ist mit guten Absichten gepflastert. Und wenn ihm das einfiel, lachte er. Er lachte, damit er nicht anfing zu heulen vor Furcht, denn in Wahrheit war er inzwischen gar nicht mehr sicher, ob er nicht längst gestorben und in der Hölle war. Er brannte doch schon. Lichterloh. Er brannte, und niemand gab ihm auch nur einen einzigen Schluck Wasser …
Bis es schließlich doch jemand tat. Julian riss verblüfft die Augen auf, als er eine herrliche, kühle Nässe auf dem Gesicht spürte, dann an den Lippen.
»Julian … Großer Gott, du bist ja mehr tot als lebendig, Mann.«
»Lucas?« Er konnte nicht glauben, dass dieses Rabenkrächzen aus seiner Kehle gekommen sein sollte. Er versuchte, sich zu räuspern, aber es ging nicht.
»Schsch. Bleib liegen. Hier, trink. Aber nur einen kleinen Schluck.«
»Lucas … Der Weg zur Hölle ist mit guten Absichten gepflastert …«
»Vorsätze«, verbesserte Lucas.
»Was?«
»Es heißt, der Weg zur Hölle ist mit guten Vorsätzen gepflastert. Und jetzt trink.«
Eine kühle Hand schob sich in Julians Nacken, hob seinen Kopf an, dann war ein Becher an seinen Lippen. Julian trank gierig, aber der Becher verschwand viel zu schnell wieder, und er gab einen matten Protestlaut von sich. Er wollte eine Hand heben und den Becher festhalten, doch es ging nicht.
»Gleich kriegst du mehr. Warte einen Moment. Ich bin sofort wieder da, sei unbesorgt. Hier, Mortimer, nimm den Becher, gib ihm zu trinken, aber immer nur ein Schlückchen, verstanden?«
Blinzelnd sah Julian sich um, und als seine Augen sich auf das gleißende Licht der
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