Das Spiel der Könige - Gablé, R: Spiel der Könige
Fackel eingestellt hatten, erkannte er seinen Knappen, der weinend neben ihm im verdreckten Stroh kniete.
Hör auf zu flennen, Bengel, wollte er sagen, aber auch das ging nicht. Und vielleicht war es besser so. Womöglich hätte der Junge ihm nichts zu trinken gegeben, wenn er ihn angefahren hätte, und trinken war plötzlich Julians einziges Bestreben.
Lucas Durham trat hinaus in den Wachraum, und er war ein beunruhigender Anblick in seinem Zorn. »Was fällt euch ein, ihr Strolche? Einsperren, hat der König gesagt. Von Verrecken lassen war nicht die Rede. Ich will einen Arzt, und zwar auf der Stelle.«
Der wachhabende Sergeant schüttelte störrisch den Kopf. »Nichts da. Befehl ist Befehl.«
Lucas trat vor ihn. »Wie ist dein Name, Söhnchen?«
»John Weddyngham, Sir.«
»Weddyngham? Aus East Cheap?«
»Ganz recht, Sir.«
»Dein Vater ist Bill Weddyngham der Hutmacher?«
»So ist es.« Der Sergeant schien erstaunt, dass Lucas seine Familie kannte.
Doch das war kein Zufall. Lucas hatte sich die Tatsache zunutze gemacht, dass viele der Wachen im Tower und das gesamte Gesinde Londoner waren. Als Lancastrianer gehörte er jetzt zuden gänzlich Machtlosen in England, aber als Durham konnte er noch einiges bewirken. Sein Cousin Samuel, das Oberhaupt der Londoner Durham, zählte zu den reichsten und mächtigsten Männern der Stadt und war obendrein Yorkist. Dank seiner Hilfe und seines Einflusses war Lucas nicht nur zu Julian of Waringham vorgelassen worden, sondern kannte auch den Namen eines jeden Mannes unter den Wachen, der den Durham etwas schuldig war. Und das, wusste Lucas, war hier unter Umständen mehr wert als Gold oder höchste Befehlsgewalt.
»Und erinnerst du dich, John Weddyngham, wer deinen Vater ein halbes Jahr lang auf Kredit beliefert hat, damit dein alter Herr genügend Geld hatte, um sich für ein Amt als Sheriff zu bewerben, he?«
Der junge Weddyngham sah sich nervös um, aber sie waren allein in der engen Wachkammer. Er senkte verlegen den Blick. »Sir Samuel Durham, Mylord.«
Lucas hob abwehrend die Hand und unterdrückte ein Schmunzeln. »Es besteht kein Grund, vor mir zu kriechen, Mann. Aber ich will einen Arzt, und zwar einen guten. Ich werd ihn bezahlen, keine Bange. Schaff ihn mir innerhalb der nächsten Stunde her, und das kleine geheime Geschäft zwischen deinem Vater und den Durham wird ein Geheimnis bleiben. Habe ich mich klar ausgedrückt?«
Als der Arzt kam, saß Julian aufrecht in seinem schaurigen Verlies, die unverletzte Schulter an die feuchte Mauer gelehnt. Er fieberte unverändert, aber das Wasser hatte ihn belebt. Mortimer hatte ihm auch feinstes weißes Hühnchenfleisch angeboten, das er in einem reinen Leinentuch mitgebracht hatte, aber Julian hatte abgewunken. Allein beim Gedanken an Essen schloss sich seine Kehle.
»Ihr seid Waringham?«, fragte eine barsche Stimme von der Tür.
Julian hob den Kopf. Ein großer grauhaariger Mann trat über die Schwelle, der unter dem Arm eine Lederrolle mit einem Chirurgenbesteck und einen äußerst feinen Mantel trug.
Lucas folgte ihm, und mit vier Mann war das kleine Verlies schon überfüllt. »Julian, dies ist Master Woodroff, ein gelehrter Medicus. Er ist Yorkist, darum guckt er so grantig, aber er ist der beste Arzt in London.«
Der yorkistische Doktor grunzte missgelaunt, und Julian warf seinem Ritter einen argwöhnischen Blick zu.
Ohne eine Aufforderung oder Erlaubnis abzuwarten, hockte der Arzt sich vor Julian, fühlte seine Stirn und seinen Puls, und er brauchte nur seiner Nase zu folgen, um die brandige Wunde zu finden. Nicht gerade sanft zog er das gesteppte Wams, das Julian noch von der Schlacht trug, über die Schulter herunter. Mit einem Ruck löste sich der Stoff, den Blut und Eiter fest mit der Wunde verklebt hatten.
Julian spürte Schweiß auf Stirn und Brust, aber er zuckte nicht zusammen.
»Das müssen wir ausbrennen«, sagte der Doktor mit unverhohlener Befriedigung.
»Das könnte Euch so passen«, knurrte Julian.
Master Woodroff hob die Schultern. »Ich brenne es aus, oder Ihr krepiert. Mir ist es gleich«, erklärte er.
Lucas nickte Mortimer zu. »Besorg ein Kohlebecken.«
Mit furchtsam aufgerissenen Augen ging der Junge hinaus.
Julian ließ sich wieder gegen die Mauer sinken, schloss die Augen und senkte den Kopf. Sein Haar war nur noch kinnlang, aber es reichte, um sein Gesicht zu verdecken, und das war gut so. Er musste eine Entscheidung treffen, und das musste er allein und unbeobachtet
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