Das Spiel der Könige - Gablé, R: Spiel der Könige
anderes als Verachtung, Scham, bestenfalls eine ungeduldige Art von Mitleid empfinden können, und er war meistens wütend auf ihn gewesen, weil Henry so ein miserabler Herrscher war und den Yorkisten dadurch in die Hände spielte. Aber er war der König gewesen. Gesalbt, gekrönt, im Stande göttlicher Gnade. Einen König zu ermorden war eine grauenvolle Sünde. Es war ein Vergehen gegen Gott selbst und seinen Plan. Wer seine Hände mit dem Blut eines Königs befleckte, musste alle Hoffnung auf Vergebung fahren lassen. Julian betrachtete den jungen Duke of Gloucester verstohlen aus dem Augenwinkel und fragte sich, welchen armen Teufel er und seine Brüder bestochen oder gezwungen hatten, es zu tun.
Sie betraten den runden Turm durch eine gut geölte Tür und stiegen eine Wendeltreppe hinab. Unten erstreckte sich einer der für den Tower so typischen, niedrigen Gänge, der von Fackeln erhellt war, die in regelmäßigen Abständen in rostigen Wandhaltern steckten.
Der Herzog bedeutete Julian mit einer Geste vorauszugehen. »Die letzte Tür auf der linken Seite.«
»Was soll das werden, Gloucester?«, fragte Julian argwöhnisch. »Wohin gehen wir?«
»Wir besuchen eine Dame«, bekam er zur Antwort. Als sie sich dem Ende des Gangs näherten, war ein gedämpftes Stöhnen zu vernehmen, und der Duke of Gloucester lachte leise vor sich hin. »Hört Ihr? Exeters Tochter entlockt den Männern, die bei ihr liegen, die merkwürdigsten Liebeslaute.«
Julian erstarrte für einen Augenblick. Dann zwang er seine Füße, weiterzugehen, und fragte sich, welchen seiner Freunde oder der wenigen verbliebenen Lancastrianer sie auf die Streckbank gelegt hatten, um ihm abzupressen, was immer sie wissen wollten. Er spürte seine Hände feucht werden, und sein Herzschlag hatte sich beschleunigt.
Als er die Tür öffnete, hörte er das Stöhnen wieder, und dieses Mal erkannte er die Stimme. Er schauderte. Es war Roland.
Nackt lag der junge Stallmeister auf dem Rücken auf einer Bank, die wie eine kniehohe Holzpritsche aussah. Seine Arme waren über dem Kopf ausgestreckt und ebenso wie seine Füße an die Balken am Kopf- und Fußende der Streckbank gefesselt, doch diese Balken waren eben nicht fest. Über einen ausgeklügelten Mechanismus, von dem Julian nur ein Zahnrad und eine Kurbel sehen konnte, ließen sie sich auseinanderbewegen. Und der Mann an der Kurbel war Thomas Devereux. Wie alle Fertigkeiten meisterte er auch diese geschickt mit einer Hand. Mit konzentrierter Miene sah er auf den nackten Leib auf der Folterbank hinab, der bereits so angespannt wie eine Bogensehne wirkte, ließ den Blick weitergleiten zu dem schweißnassen Gesicht und drehte die Kurbel behutsam ein Stück weiter, sodass das Zahnrad in die nächste Raste rutschte.
Roland bleckte die Zähne und keuchte. Sein Gesicht erschien Julian grau, gramgefurcht, alt. Wie lange haben sie ihn schon in der Mangel?, fuhr es Julian durch den Kopf. Und wie sind sie ausgerechnet auf ihn – den unpolitischsten aller Neville – gekommen?
Roland öffnete die Augen einen Spalt breit und entdeckte seinen Onkel, der mit versteinerter Miene auf ihn hinabschaute.
»Was immer sie tun, Mylord … und egal, wie ich bettle, sagt ihnen nichts«, brachte Roland hervor. Es klang kurzatmig. Die Brust, wusste Julian, konnte sich nicht mehr richtig heben und senken. Er wusste auch, dass die Männer, die auf der Streckbank starben, in der Regel erstickten.
Er bewunderte Rolands Schneid, verspürte zum ersten Mal so etwas wie väterlichen Stolz auf diesen ungebärdigen Hitzkopf, der sich immer so stur geweigert hatte, ein Ritter zu werden, und erkannte in diesem – dem denkbar ungünstigsten – Augenblick, dass er diesen missratenen Bengel genauso liebte wie einst dessen so perfekt gelungenen Bruder Alexander.
»Ich nehme an, Ihr erinnert Euch an Euren Schwager, Waringham?«, sagte Gloucester. »Sir Thomas hat Interesse bekundet, mein Steward in dieser malerischen kentischen Güllegrube zu werden, die Ihr bis vor kurzem den Stammsitz Eures Hauses nennen durftet. Ich finde, das ist eine hervorragende Idee. So bleibt Waringham quasi in der Familie, nicht wahr?«
Julian sah zu Devereux, der aus seiner Häme und Befriedigung keinen Hehl machte. Und warum auch. Die Waringham hatten ihm wahrhaftig übel mitgespielt. Doch bei dem Gedanken, dass dieser Bauer über sein Land und die Menschen darin herrschen, in seinem Bett schlafen würde, wurde Julian flau vor Zorn. »Glückwunsch, Devereux.
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