Das Spiel der Könige - Gablé, R: Spiel der Könige
konnte.
»Bindet ihn los«, befahl Julian. »Sofort. Ich zähle bis drei, Devereux. Eins …«
Der junge Gloucester sah seinen eigenen Tod in Julians Augen, und er fürchtete sich nicht. Gedanken wirbelten wie Schneeflocken durch Julians Kopf, während er Gloucester und Devereux gleichzeitig im Blick behielt und seine Hand mit größter Mühe hinderte, zuzustoßen. Und der Gedanke, an den er sich später erinnerte, war, dass Richard of Gloucester zu den mutigsten Männern zählte, denen er je begegnet war.
»Zwei …«
»Tut es, Devereux«, bat Gloucester höflich.
Thomas Devereux betätigte einen Hebel, und das Zahnrad löste sich. Es drehte sich einige Male blitzschnell, und die Ketten, die Rolands Leib gestreckt hatten, wurden schlaff. Während Devereux einen Schlüssel zückte und die Hand- und Fußfesseln löste, blieb Roland reglos liegen und rang rasselnd um Atem. Als er spürte, dass er nicht länger gebunden war, drehte er sich langsam auf die Seite, stöhnte, rollte von der Streckbank und erbrach sich.
Julian ließ Gloucester nicht einen Lidschlag aus den Augen. »Und jetzt lasst ihn gehen. Wo sind seine Kleider?«
Devereux schob ein unordentliches Kleiderbündel, das am Boden lag, verächtlich mit dem linken Fuß in Rolands Richtung.
Roland kam langsam auf die Füße. Er schwankte ein wenig, aber er stand vollkommen aufrecht, sah zu Gloucester, dann weiter zu Thomas Devereux. Er spuckte ihm vor die Füße, ging torkelnd einige Schritte nach rechts, wo neben einem steinernen Pfeiler ein Eimer Wasser stand. Mit der Hand schöpfte Roland Wasser, spülte sich den Mund aus, trank, dann schüttete er sich den restlichen Inhalt des Eimers über den Kopf. Erst danach stieg er – tropfnass – in seine Hosen. Die übrigen Kleider hängte er sich über den Arm. »Und was nun, Onkel?«, fragte er. Es klang heiser und zutiefst erschöpft.
»Devereux, Ihr bringt ihn hinaus«, befahl Julian. »Wenn ihr ans äußere Torhaus kommt und Ihr die Wachen fortgeschickt habt, wird er Euch einen Namen nennen. Den … den Namen seines Freundes, der niemals erwachsen wird.« Er tauschte einen kurzen Blick mit Roland und sah, dass sein Neffe ihn verstanden hatte. »Dann kommt Ihr wieder und bringt mir den Namen.«
Rolands Adamsapfel glitt sichtbar auf und ab, als er schluckte. »Aber … aber kommt Ihr nicht mit, Mylord?«
Julian schüttelte den Kopf. Er wusste, dass er und Roland den Tower zusammen niemals lebend verlassen würden. »Geh. Mach dir um mich keine Gedanken. Verschwinde.«
Devereux öffnete die Tür, machte eine ärgerliche, auffordernde Geste, und sie gingen hinaus.
»›Mach dir um mich keine Gedanken‹?«, wiederholte Gloucester und gluckste vergnügt. »Denkt Ihr nicht, das war ein bisschen zu optimistisch? Was, glaubt Ihr, wird der König mit Euch tun, wenn er hört, dass Ihr seinen Bruder mit der Waffe bedroht habt? Und sein Blut vergossen, wie mir das warme Rinnsal auf meinem Hals verrät. Wird er Euch nur ausweiden lassen oder auch vierteilen, was meint Ihr, hm?«
»Vielleicht sollte ich Euch erschlagen, damit es den Preis wenigstens wert ist.«
Gloucesters dunkle Augen sahen unverwandt in seine. »Ihr würdet es furchtbar gern tun, nicht wahr? Es hat eben wirklich nicht viel gefehlt.«
Julian deutete ein Nicken an. »Ich habe nichts mehr zu verlieren, und ich würde England einen letzten Dienst erweisen, wenn ich es täte.«
»Darf ich in meinen Apfel beißen, während Ihr mit Euch ringt, Sir?«
»Eure Hände bleiben, wo sie sind.«
Es dauerte nicht lange, bis Thomas Devereux zurückkam. Er trat über die Schwelle, sah erst Gloucester an, dann Julian und sagte: »Melvin.« Es klang unwillig. Er verabscheute die Botenrolle, in die Julian ihn gezwungen hatte.
Julian atmete tief aus, trat einen Schritt zurück und gab Gloucester sein Schwert zurück.
»Warum habt Ihr’s nicht getan?«, fragte der junge Herzog neugierig.
»Weil meine Söhne früher oder später dafür hätten büßen müssen.«
»Ach ja. Ich entsinne mich. Die Söhne sind Geiseln der Taten ihrer Väter, war’s nicht so oder so ähnlich?«
Julian nickte. Er hatte einen Geschmack im Mund, als hätte er auf einem Penny gelutscht.
Devereux schloss die Tür und schob den Riegel vor.
Gloucester steckte sein Schwert ein. »Bleibt immer noch die offene Frage über den Verbleib des Tudor-Lümmels.«
Julian schüttelte den Kopf. »Ich weiß nicht, wo Richmond ist. Selbst wenn ich gefragt hätte, hätte Jasper Tudor mir
Weitere Kostenlose Bücher