Das Spiel der Könige - Gablé, R: Spiel der Könige
vielleicht daran liegt, dass du nicht mit ihm sprichst«, entgegnete ihr Bruder. »Wenn du ihn fragst, sagt er es dir bestimmt.«
»Ich werde dann wieder mit ihm reden, wenn er mich nach Hause bringt«, gab sie entschieden zurück.
»Das ist hier.«
Alice schüttelte den Kopf, und plötzlich musste sie gegen Tränen ankämpfen. »Für dich und für ihn vielleicht. Aber nicht für mich.«
Edmund wusste nichts zu sagen. Er hatte keine Ahnung, was seinen Vater veranlasst hatte, seine Schwester mit nach England zu bringen. »Alice«, murmelte er schließlich beschwichtigend. »Er tut das, was das Beste für dich ist. Das weißt du doch ganz genau.«
»Ich weiß nichts dergleichen«, brauste sie auf. »Ich nehme an, er hat mich hierher verschleppt, um mich mit irgendeinemalten Kriegskameraden zu verheiraten, und wenn er das tut, dann sterbe ich, Edmund.«
Mit dieser fürchterlichen Drohung wandte sie sich ab, ließ ihren Bruder einfach stehen und ging Richtung Holzsteg davon.
Edmund ließ sie in Ruhe. Da er ein Jahr jünger war als Alice, fühlte er sich in der Rolle des Trost spendenden Bruders noch nicht so recht wohl, und ihm fiel nichts ein, was er hätte sagen oder tun können, um seiner Schwester zu helfen. Er behielt sie am anderen Flussufer im Auge, gesellte sich zu der Gruppe, bei welcher er Vater Michael entdeckt hatte, und weil die Leute ihn so hartnäckig drängten, spann er ihnen schließlich ein bisschen Seemannsgarn über ihre Abenteuer auf See. Er musste nicht einmal lügen. Sein Vater hatte sich über die Jahre allerhand einfallen lassen, um den Yorkisten das Leben bitter zu machen …
Alice schlenderte ziellos über die feuchte Wiese und schaute in die Richtung, wohin das Jungvolk von Waringham gezogen war. Sie konnte niemanden mehr entdecken und hörte sie auch nicht mehr. Einen Moment fragte sie sich, wie es wohl war, als Bauernmagd in Waringham aufzuwachsen und zu leben, einen dieser jungen, rotwangigen, prahlerischen Burschen zu heiraten, mit ihm und der wachsenden Kinderschar in einer Kate zu hausen und niemals aus Waringham herauszukommen. Es klang nicht einmal so übel, fand sie. Es war einfach und sicher. Diese Menschen hier wussten wenigstens, wo ihr Platz in der Welt war und was sie vom Leben zu erwarten hatten.
Alice hingegen fühlte sich entwurzelt und Fortunas Launen wehrlos ausgeliefert. Nicht erst, seit ihr Vater sie hierher gebracht hatte. Immer schon, solange sie denken konnte. Und weder ihr Vater, der so oft fort war, hatte ihr Sicherheit geben können, noch ihre Mutter oder ihre älteren Brüder und Cousins, sondern allein Richmond. Er war ihr immer vollkommen unerschütterlich erschienen. Weder Armut noch yorkistische Meuchelmörder oder Herzog François’ Wankelmut und Tückemachten ihm Angst, weil er die Gabe besaß, sich Gottes Vorsehung anzuvertrauen. Jedenfalls glaubte sie, dass das die Quelle seines Gleichmuts war. Sie hatte nie mit ihm darüber gesprochen. Sie hatte genau genommen überhaupt nicht oft mit Richmond gesprochen. Er war immer freundlich zu ihr und den anderen Mädchen im Haushalt gewesen, hatte ihnen an Winterabenden oft wunderbare, lange Geschichten erzählt, ihnen Wasser oder Feuerholz getragen und all diese Dinge, aber er war stets auf Distanz geblieben. Falls er überhaupt irgendwen in sein Herz schauen ließ, dann seinen Onkel Jasper, ihren Vater, und Mortimer, Robin und Owen, die ihre Tante Blanche gern »die drei Richmond-Jünger« nannte. Diese Unnahbarkeit hatte Richmond für Alice natürlich nur noch unwiderstehlicher gemacht, und sie konnte sich an keine Zeit erinnern, da sie nicht verliebt in ihn gewesen war. Als Mädchen hatte sie sich immer ausgemalt, wie es sein würde, wenn sie und Richmond eines Tages heirateten. Nie hatte sie den geringsten Zweifel zugelassen, dass das passieren würde. Doch je älter sie wurde, umso klarer war ihr, welche Hindernisse dieser Ehe im Wege standen. Richmond war der rechtmäßige König von England. Er konnte nicht einfach der Stimme seines Herzens folgen und heiraten, wen er wollte. Also hatte sie sich mit dem Gedanken vertraut gemacht, seine Geliebte zu werden. Das hatte eine Weile gedauert und war ein schwieriger, schmerzvoller Prozess gewesen. Sie hatte gewusst, wie tief sie ihren geliebten Vater verletzen würde, wenn sie das täte. Und sie hatte auch geahnt, dass er ihre Tante Blanche dafür verantwortlich machen würde, die durch ihre skandalöse Liaison mit Jasper Tudor so ein schlechtes Beispiel
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