Das Spiel der Nachtigall
als Ärztin mehr als nur einem Menschen helfen zu können. Ist deine Gastfreundschaft davon abhängig, Onkel, dass ich lüge, damit der Erzbischof von Köln nicht gegen seinen Willen einen Eid auf den nächsten Staufer schwören muss?«
Er schüttelte den Kopf. »Nein. Doch bedenke dies, Nichte: Der Erzbischof wird dir einen Gefallen schulden, genau wie die wichtigsten Kaufleute der Stadt, und für eine Frau, die in Köln Ärztin sein will, ist ein solcher Beginn nicht zu verachten.«
Damit hatte er recht. Außerdem mochte es sehr wohl sein, dass eine Weigerung ihrerseits das Ohr des Erzbischofs erreichte, was ihr ein Leben in Köln erheblich erschweren konnte. Natürlich war es möglich, einen neuen Anfang in einer anderen Stadt zu versuchen, aber die Begrüßung des Sabbats, die sie mit ihrem Onkel teilte, hatte ihr gezeigt, wie sehr sie es vermisste, Teil einer Familie zu sein. Außerdem würde es in keiner anderen Stadt leichter sein, Patienten zu finden.
Sie fragte sich, welches Spiel wohl der Bischof von Passau trieb, dass er dem Erzbischof von Köln so einen Rat erteilte, und ob ihm der Gedanke schon vor oder erst nach ihrer Auseinandersetzung um die Psalmen gekommen war.
»Ist das der Grund, warum Herr Gerhard und du selbst für Botschaftsdienste zur Verfügung stehen?«, sagte sie laut. »Damit der Erzbischof von Köln euch einen Gefallen schuldet?«
»Er schuldet Gerhard bereits eine ganze Menge Geld«, gab Stefan ruhig zurück und trank den nächsten Schluck. »Nein, nicht deswegen. Wir Kaufleute sind nicht von Adel, aber was im Reich geschieht, das geht uns sehr wohl etwas an. Kein Staufer war jemals gut für Köln, und Kaiser Heinrich gleich gar nicht. Es heißt, er wolle den Erdkreis beherrschen, einschließlich Ostrom. Wenn er das tatsächlich versucht, dann werden die Könige von England und Frankreich unser Land mit Krieg überziehen, da sind wir uns sicher. Irgendjemand muss ihm die Flügel stutzen. Wenn er sieht, dass er nicht einfach seinen Sohn als seinen Nachfolger einsetzen kann, dann wird er sich um unsere Belange kümmern, seine Träume etwas bescheidener gestalten und umgehend zu uns zurückkehren, wenn der Kreuzzug vorbei ist, statt neue Kriege im Rest der Welt anzufangen.«
Judith hatte das nagende Gefühl, dass es immer noch einen Teil dieses Gespinstes gab, das sie nicht durchschaute, doch letztendlich kam es tatsächlich nur darauf an, ob ihre Treue dem Kaiser und seiner Familie gehörte, und das tat sie nicht. Andererseits störte es sie, dass sie ausgerechnet zwei christlichen Bischöfen das Leben leichter machen sollte. Plötzlich kam ihr ein Gedanke, der ihre Mundwinkel zucken ließ und sie dazu brachte, Stefan umgehend den Becher wieder abzunehmen und einen weiteren Schluck zu trinken.
»Glaubst du, der Erzbischof von Köln sei bereit, ein Opfer zu bringen, um etwaige Gesandte Herzog Philipps völlig zu überzeugen?«, fragte sie ihren Onkel.
»Wenn du eine Entlohnung meinst …«
»Nein, nein. Aber es gibt Tränke, die den Darm entleeren und Schweiß am ganzen Körper hervorrufen. Wenn er möchte, dass ich ihn für unfähig zu reisen erkläre, dann kann ich ihn auch tatsächlich unfähig zu reisen machen.«
Kapitel 14
A ngefangen, das musste Dietrich von Meißen zugeben, hatten die Hoftage von Frankfurt vielversprechend. Für die Hochzeit waren Turniere organisiert worden, bei denen er glänzen konnte; so etwas tat einem Mann selbst dann gut, wenn am Ende nicht das Lehen winkte, auf das er ein Recht hatte. Außerdem wurde ordentlich getafelt, und da vor der Hochzeit auch noch Philipps Schwertleite stattfand, bei welcher der zwanzigjährige Herzog von Schwaben in die Ritterschaft aufgenommen wurde, gab es so manches Preislied auf die ritterlichen Tugenden zu hören. Dietrich beschloss, darauf zu vertrauen, dass sein zukünftiger Schwiegervater Hermann derweilen mit den Verhandlungen anfing und durchblicken ließ, was er als Landgraf von Thüringen für seinen Eid auf ein Kleinkind erwartet, und entschloss sich einfach, das Leben zu genießen, bis er Näheres hörte. Da Hermann sehr beschäftigt wirkte, bot sich für Dietrich sogar die Gelegenheit, mit der einen oder anderen Magd zu tändeln, was sonst in Anbetracht seiner baldigen Hochzeit nicht machbar gewesen wäre.
Das erste Anzeichen dafür, dass Dietrich möglicherweise schon wieder übel vom Schicksal mitgespielt wurde, kam, als Hermann mit gerunzelter Stirn beim abendlichen Schmaus saß, statt sich gebührend
Weitere Kostenlose Bücher