Das Spiel der Nachtigall
wie der Erzbischof ablehnen würde, nach allem, was sie von ihm gehört hatte; schon deswegen nicht, weil es eine Gelegenheit war, klarzumachen, wie sehr die übrigen geistlichen deutschen Fürsten unter ihm standen. Das jedenfalls war die boshafte Einschätzung des Herrn Diepold von Schweinspeunt gewesen, wenn er sich auf der Reise über die Alpen langweilte und versucht hatte, mit Irene ein Gespräch anzufangen. Judith öffnete den Mund, um ihre Frage zu stellen, und schloss ihn wieder, denn genau in diesem Augenblick setzte sich für sie das Mosaik zusammen.
»Er wird nicht kommen«, sagte sie langsam. »Der Erzbischof wird nicht kommen, weil es eben nicht nur eine Hochzeit ist, nicht wahr?«
Ihr Onkel schluckte den letzten Bissen des Brotes hinunter und musterte sie. »Ich dachte, man habe dich in Salerno die Geheimnisse des menschlichen Körpers gelehrt, nicht die der Seele.« In seiner Stimme lag Frage und Anerkennung zugleich. Es entging ihr nicht, dass er ihre Feststellung nicht geleugnet hatte.
»Man kann den Körper nicht ohne die Seele verstehen. Aber die Seele des Erzbischofs ist es nicht, die ihn fernhalten wird, nicht wahr? Es geht um seine Stimme bei der Wahl des Königs. Ich brauche keine Schule von Salerno, um zu wissen, dass der Erzbischof von Köln den deutschen König in Aachen krönt. Seine Stimme ist so die wichtigste von allen.«
»Ich sage nicht, dass du recht hast, und ich sage nicht, dass du unrecht hast, Nichte. Ich sage nur, dass die Wahl eines Kindes statt eines gestandenen Mannes einem einfachen Kaufmann wie mir bedenklich erscheint und der Treueid auf einen gesalbten König nur sehr schwer zu lösen ist, vor allem, wenn ihn ein geistlicher Fürst leistet. Doch wie sollte er das nicht tun, wenn er offen darum gebeten wird und wenn ein so christliches Unternehmen wie ein Kreuzzug erst beginnen kann, wenn diese Wahl erfolgt ist?«
Es erinnerte sie an die Vorträge der Magistra Francesca, die wünschte, dass ihre Studenten selbst die Krankheiten benannten, deren Symptome sie geschildert hatte, und Judith spürte ein Echo der alten Aufregung, wenn sie auf die Lösung verfiel, von deren Richtigkeit sie überzeugt war. »Wenn er gar nicht erst zur Wahl erscheint, dann wird sie ohne ihn erfolgen, aber er muss keinen Treueid leisten. Der Kaiser und der Herzog von Schwaben werden nicht glücklich sein, doch wenn das Kind je in Aachen gekrönt werden soll, dann brauchen sie den Erzbischof von Köln, also können sie auch nichts gegen ihn unternehmen«, überlegte sie laut. »Das mag gut und schön sein, doch wenn ich der Herzog wäre und wüsste, wie wichtig die Anwesenheit des Erzbischofs von Köln in Frankfurt ist, dann würde ich einen Gesandten schicken, der ihn so unmissverständlich auffordert, zu kommen, dass der Erzbischof gar nicht ablehnen kann, ohne sich offen zu widersetzen.«
»Keinem Mann kann eine lange Reise zugemutet werden«, gab ihr Onkel zurück, »wenn seine Ärzte ihn für krank erklären. Das ist jedenfalls die Meinung des Bischofs von Passau. Er war so freundlich, hinzuzufügen, dass böswillige Leute natürlich auf den Gedanken kommen könnten, des Erzbischofs eigene Ärzte würden nur sagen, was er ihnen befiehlt. Wenn aber die Leibärztin der neuen Herzogin von Schwaben selbst Erzbischof Adolf für reiseunfähig erklärt, nun, dann muss Philipp dies wohl als Wahrheit akzeptieren.«
So viel zu neuen Steinen in einem alten Mosaik. Judith wusste nicht, ob sie sich beleidigt oder geschmeichelt fühlte.
»Ich dachte, du hättest mich aufgefordert, mit dir zu kommen, weil ich deine Nichte bin«, sagte sie leise.
»Das war der Grund.« Er reichte ihr erneut den Kiddusch-Becher. »Aber mir scheint, du weißt so gut wie ich, dass man Gelegenheiten nützen muss. Du hast mir gesagt, dass du dich von der Byzantinerin wegwünschtest, und so ging ich davon aus, dass dein Herz nicht staufisch schlägt. Wenn das doch der Fall sein sollte, entschuldige ich mich.«
Erneut sah sie Salerno vor sich, wie sie es zum ersten Mal erblickt hatte, die zerstörte Stadt voller Trümmer, die gerade erst wieder neu errichtet wurde, die vielen Menschen, die das kaiserliche Heer an Körper und Seele verkrüppelt hatte. Sie trank von dem Sabbatwein, und er war schwer auf ihrer Zunge.
»Mein Herz schlägt nicht staufisch, es schlägt ausschließlich für mich und meine Familie«, sagte sie. »Nur die Prinzessin ist mir teuer; ich wollte sie nicht verlassen, weil ich ihr übelwill, sondern, um
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