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Das Spiel der Nachtigall

Das Spiel der Nachtigall

Titel: Das Spiel der Nachtigall Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tanja Kinkel
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Markwart seiner Meinung nach unrecht hatte. Der König von England war nach allem, was man hörte, beileibe keine verfolgte Unschuld gewesen; der Allmächtige hatte gewiss Besseres zu tun, als kleine Sänger zu bestrafen, nur, weil sie die Gunst der Stunde zu nutzen verstanden.
    Der Herzog unterbrach seine schmerzgequälte Flucherei, um den Pferdepfleger von sich zu stoßen, so heftig, dass der Mann zu Boden fiel. »Nutzlos«, keuchte er, »nutzlos. Ich will jemanden, der mir helfen kann!«
    »Vater, wir haben sofort nach dem Medicus geschickt, ich schwöre es!«
    »Noch ein Schlächter hilft mir auch nicht. Bringt mir den Bischof von Passau!«
    Das war eine Überraschung. Der Bischof von Passau hätte die Weihnachtsfeiertage eigentlich gar nicht mit einem Exkommunizierten verbringen dürfen und tat es laut Hoftratsch nur deswegen, weil der Herzog versuchte, aus Klosterneuburg ein neues, eigenständiges Bistum zu machen, was ihm selbst in besseren, nicht vom Papst gebannten Tagen nicht zugestanden wäre. Natürlich war jedem klar, warum er das versuchte. Bisher gehörte Wien noch in den Bereich der Erzdiözese Passau, und deren Bischof, Wolfger von Erlau, galt nicht als ein Mann, der Macht abgab. Pfarreien durfte ein Herzog durchaus vergeben, einen Bischof zu ernennen war aber seit geraumer Zeit schon allein dem Papst vorbehalten. Der Herzog hätte aber in Klosterneuburg zu gerne einen Bischof gehabt, der ihm zu Dank verpflichtet war. Seit seiner Ankunft war Wolfger ein paarmal mit dem Herzog hinter geschlossenen Türen zusammengetroffen, und jedes Mal hatte der Bischof danach den Raum mit grimmiger Miene verlassen.
    »Den Bischof? Bist du …«
    »Ich will ihn sehen«, brüllte der Herzog und setzte zu einer neuen Litanei von Flüchen an.
    Walther ertappte sich dabei, wie er auf das knapp oberhalb des Knies abgetrennte Bein starrte, das immer noch auf dem Boden lag, auf die schwärende Wunde, auf den Fuß. Einen Moment lang glaubte er, die Zehen noch zucken zu sehen, und stockte in seinem Gesang. Reinmar war von seinem plötzlichen Verstummen überrascht genug, um ebenfalls innezuhalten, so dass nur noch die Musikanten spielten. Mit einem Mal hörten sie alle den Herzog sehr, sehr deutlich – und der hörte sich auch.
    »Habe ich irgendjemandem gestattet, still zu sein? Singt, zum Teufel!«
    »Mit Verlaub, Herr«, sagte Reinmar, »Lieder können beruhigend auf die Seele und den Körper wirken, wenn es Gott gefällt. Lasst mich wirklich für Euch singen.«
    Das Gesicht des Herzogs wurde ein wenig weicher, doch dann schüttelte er den Kopf. »Du und ich haben zu viel Tote gesehen, als dass deine Lieder für mich lügen könnten, Reinmar. Wenn ich dich anschaue, steht dir Frau Sorge ins Gesicht geschrieben. Lass den Jungen singen, er giert noch zu sehr nach dem Leben, um nicht gut im Lügen zu sein.«
    Es war nicht der Zeitpunkt und der Grund, unter dem sich Walther eine Bevorzugung vor Reinmar gewünscht hätte. Er bezweifelte auch, dass der Herzog wirklich auf seine Worte achten würde, doch er ließ sich so etwas nicht zweimal sagen. Schnell nahm er dem Spielmann die Fiedel ab und stimmte ein Lied an. Nicht das, was er für sein bestes hielt, das war nun wirklich nichts für ein Krankenlager, aber das, was ihm selbst darüber weggeholfen hatte, dass die Wirtin Mathilde eine ehrsame Ehe mit einem braven Bürger zum Anlass genommen hatte, ihm nur noch Bier und ein Lächeln vorzusetzen, wenn er sie besuchte. Er wollte nicht riskieren, dass der Fiedler es mit Tönen verschandelte, die nicht die seinen waren. Wenn es ihm gelang, dachte Walther, den Herzog dazu zu bringen, ihm trotz seiner Schmerzen zuzuhören, dann hatte er sein höchsteigenes Weihnachtswunder erhalten, zum zweiten Mal.
    Doch der Herzog behielt die Lippen aufeinandergepresst, und der Schmerz in seinen Augen wurde nicht geringer. Worte und Fiedelklang, was war beides gegen das tote Stück Fleisch auf dem Boden, das vorhin noch am Leben gewesen war? Nichts. Was war der Herzog? Einer der mächtigsten Herren des Reiches. In seinem Herzogtum hielt er ihrer aller Leben in seinen Händen, auch in diesem Moment, und doch war er auch ein Mann, dessen Blut in den Verband sickerte, den man ihm eilig angelegt hatte, der nach Schweiß und Kot stank, der mit all seiner Macht keine Linderung für seine Schmerzen erlangen konnte.
    Gegen die Natur der Menschen anzuspielen, war eine neue Erfahrung, und Walther nicht gesonnen, sich so leicht geschlagen zu geben. Die

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