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Das Spiel der Nachtigall

Das Spiel der Nachtigall

Titel: Das Spiel der Nachtigall Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tanja Kinkel
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seiner Frau beizubringen, war sie zu betäubt von Schuld, um gegen das Gezeter der Frau zu protestieren.
    Der Kaufmann bestand darauf, dass sein Sohn die Nottaufe erhielt, obwohl das Kind gesund war. Während der Priester die nötigen Worte sprach, stand Judith mit ihrem blutigen Oberkleid in einer Ecke und fragte sich, wann die erste Anschuldigung ausgesprochen würde. Als es an der Tür pochte, stellte sich das Klopfen als das der Hebamme heraus, doch sie war nicht alleine: Bei ihr standen Gilles und zwei junge Männer, die Judith noch nie gesehen hatte.
    Paul hatte Gilles ihre Botschaft überbracht, doch Judith keine Antwort bekommen. Sie hatte angenommen, Gilles’ Schweigen sei seine Erklärung für Stefan. Aber hier war er, in einem der schlimmsten Momente ihres Lebens, und sie blinzelte ungläubig, als sei er eine Erscheinung, die sich in jedem Moment in Luft auflösen konnte.
    »Richildis ist tot«, sagte sie hilflos. Gilles wirkte, als verstünde er ein wenig, was das für sie bedeutete. Sie dachte daran, wie sie sich in seiner Gegenwart einmal über Richildis ausgelassen hatte, und ihr Schuldgefühl stieg. Unbeholfen legte Gilles seine Arme um sie. Als er sie an sich zog, flüsterte er ihr ins Ohr: »Die beiden sind die Geiseln des Erzbischofs. Es wäre wahrlich gut, wenn wir die Stadt sehr schnell verließen.« Judith warf einen Blick auf die beiden Mägde, die sich sofort bekreuzigten, auf den trauernden Salzhändler mit seinem neugeborenen Sohn neben dem Priester und nickte, statt Fragen zu stellen.

    Ein paar Stunden später kauerten sie alle auf dem ersten Schiff, das sie hatten finden können und dessen Schiffer nicht sofort abergläubisch die Anwesenheit einer Frau ablehnte. »Ich habe lange nachgedacht über deine Worte«, sagte Gilles zu ihr, während sie von Pferden den Rhein aufwärts gezogen wurden. »Dein Onkel war mir immer ein guter Patron, und ich habe schon einmal herrenlos gelebt; das ist kein gutes Dasein. Aber dann hat er mir eine Botschaft geschickt. Er wollte, dass ich die Geiseln gehen lasse.« Judith schaute zu den beiden jungen Männern, Verwandte des Herzogs von Zähringen. »Er wollte, dass ich sie gehen lasse und behaupte, sie hätten mich überwältigt«, erläuterte Gilles. »Damit ich … wie sagt man in deiner Sprache … einen Sündenbock abgebe gegenüber dem Erzbischof. Er wollte, dass Adolf keinen Grund mehr hat, auf das Geld des Zähringers zu warten. Aber der Erzbischof, das ist kein Herr, der leicht verzeiht. Er hätte mir die Schuld gegeben. Und so wäre dein Onkel mich ganz einfach losgeworden.«
    »Onkel Berthold hätte uns ohnehin nicht ausgelöst«, bemerkte eine der Geiseln. »Nicht bei unseren Spielschulden. Er hat gemeint, wir seien eine Schande für die Familie, und ein paar Wochen beim Erzbischof seien genau das, was wir verdient hätten. Als Mann der Kirche könne der Erzbischof ohnehin nicht mehr tun, als uns in kargere Räume stecken, wenn er es satthabe, auf Berthold und sein Geld zu warten.«
    Judith war in Gedanken noch bei Richildis und dem Kind. Hoffentlich kannte die Hebamme eine andere Wöchnerin, so dass der kleine Junge anständig genährt werden konnte. Und Richildis … wieder und wieder ging sie in Gedanken alles durch, was sie getan hatte und was nicht. Auf diese Weise brauchte sie länger, als es sonst der Fall gewesen wäre, bis sie Gilles stirnrunzelnd fragte: »Aber wenn du durchschaut hast, warum Stefan das von dir verlangt hat, warum …« Sie blickte zu ihm hin und verstand. »Danke.«
    »Nun, wir konnten doch nicht allein und ohne ausreichenden Schutz übers Land ziehen«, sagte der junge Verwandte des Herzogs von Zähringen. »Es ist gefährlich auf den Straßen dieser Tage! Auf dem Weg nach Andernach hatten wir immer fünf Bewaffnete bei uns, und die waren auch nötig. Aber wenn diese Pfeffersäcke so gegen den Onkel als neuen König sind, dass sie uns loswerden wollen, greifen sie vielleicht noch zu ärgeren Methoden, als uns fliehen zu lassen. Deswegen mussten wir die Gelegenheit beim Schopf packen.«
    »Du hast gesagt, dass wir Geld brauchen und neue Arbeit«, sagte Gilles und sah Judith bedeutungsvoll an.
    Sie zweifelte, ob der Herzog von Zähringen bereit war, Gilles für die sichere Rückkehr seiner Neffen zu bezahlen, wenn er schon nicht die Absicht hatte, das beim Erzbischof zu tun, doch vielleicht irrte sie sich. Eigentlich hatte sie vor allem neue Arbeit für sich selbst gemeint, doch sie konnte immer noch das Blut von

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