Das Spiel der Nachtigall
erkennbar auf den Bescheid aus Rom vom nächsten Papst warten und verbat sich unverschämte Einschätzungen eines Sängers zu diesem Thema? Philipp behandelte Botschaft nach Botschaft so, als sei sie zwar wichtig, doch nicht wichtig genug, um Walther einen festen Platz an seinem Hof anzubieten?
Nun, es gab jemanden, der über ihnen stand, und das war nicht die Kaiserinwitwe Konstanze. Wer auch immer der nächste Heilige Vater sein würde, er musste eine Meinung zu den Ereignissen im Reich haben, damit hatte Leopold recht gehabt. Und es mochte sich für mehr als einen Beteiligten lohnen, herauszufinden, was das für eine Meinung war.
* * *
Die Entbindung der Salzhändlergemahlin Richildis fand zwei Wochen früher statt, als Judith sie nach den Angaben der Frau erwartet hatte. Da deswegen die Hebamme noch nicht im Haus war, gab es außer Judith nur noch das Gesinde, um ihr zu helfen.
Die Knechte und Mägde hatten ihre Anwesenheit im Haus nicht freudig aufgenommen; sie wussten nicht, ob sie die Magistra als Teil des Gesindes oder als Herrschaft zu behandeln hatten, und außerdem sprach sich sehr schnell herum, dass sie eine Jüdin war, ob getauft oder nicht, das wusste niemand mit Gewissheit zu sagen. Eine der Mägde fragte offen, ob es stimme, dass Juden kleine christliche Kinder bei ihren Passah-Feiern schlachteten.
»Nein«, entgegnete Judith mit zusammengebissenen Zähnen und erniedrigte sich nicht zu einer längeren Antwort, denn der Vorwurf war zu lächerlich, um ihn ernst zu nehmen. Dann fiel ihr ein, was Gilles und Stefan über die jüdischen Bürger von Blois erzählt hatten, die wegen ebendieses Vorwurfs bei lebendigem Leibe verbrannt worden waren, und es lief ihr kalt den Rücken hinunter.
Als bei Richildis die Wehen einsetzten, musste Judith dreimal darum bitten, dass Wasser abgekocht wurde. Von da an verlief nichts mehr so, wie es sollte: Das Fruchtwasser kam bald aus Richildis heraus, doch das Kind nicht, und das machte den Geburtsvorgang unendlich schmerzhafter. Außerdem lag es falsch, das konnte Judith ertasten. Eine der Mägde war so dumm, um von Teufelskindern zu sprechen, ehe Judith sie aus dem Zimmer warf. Richildis geriet immer mehr in Angst, ihre Krämpfe wurden schlimmer, und ihr Gemahl, der wie alle Männer dem Geburtszimmer wohlweislich fernblieb, hörte auf die Magd und holte einen Priester, was Richildis gänzlich davon überzeugte, dass ihr letztes Stündlein geschlagen hatte.
Schließlich beschloss Judith, das Kind im Mutterleib zu drehen, um es aus der Steißlage zu befreien. Sie hatte das bei Hebammen beobachtet, aber selbst noch nicht getan, obwohl ihr Francesca erklärt hatte, was zu tun war. Ihre eigene Angst war inzwischen groß, obwohl sie versuchte, sich nichts davon anmerken zu lassen. Richildis stöhnen und schreien zu hören, ohne zu wissen, ob es vor Schmerzen oder aus Furcht geschah, steigerte das Gefühl, sich vor einem Abgrund zu befinden. Judith rieb sich Hand und Unterarm mit Öl ein und versuchte ihr Bestes, um das Kind zu drehen, doch es gelang ihr erst beim zweiten Anlauf. Richildis fing an zu flehen, Christus möge sich ihrer Seele erbarmen, weil sie zugelassen hatte, dass eine Jüdin Hand an sie legte.
Endlich kam das Kind, und als Judith die Nabelschnur zerschnitt, nahm es die verbliebene Magd sofort an sich, damit, wie sie offen sagte, kein böser Zauber damit getrieben werden konnte. Es war ein gesunder Junge, obwohl er erst einen Klaps auf den Hintern erhalten musste, um zu schreien, aber Richildis blutete immer noch zu stark, als dass es sich dabei nur um die Nachgeburt handeln konnte. Am Ende musste sie miterleben, wie die Salzhändlergattin verblutete.
Judith hatte noch nie einen Patienten verloren; dass es eine Frau war, empfand sie als doppelt schändlich. Es war ein widerliches Gefühl der Ohnmacht und des Wissens, irgendetwas falsch gemacht haben zu müssen. Ja, das Kind lebte, aber Richildis war es noch vor einem Tag gutgegangen. Judiths Behauptung, der gesamte letzte Monat ihrer Schwangerschaft müsse ständig überwacht werden, war eine Lüge gewesen, um sich ein Obdach zu verschaffen, und nun fragte sie sich, ob diese Lüge dazu beigetragen hatte, in Richildis die Furcht wachsen zu lassen und ihren Willen zum Überleben zu zerstören. Entsetzt sprach sie für die Frau Kaddisch, ohne nachzudenken, und die Magd fing an, etwas über bösen Zauber zu murmeln. Als Judith mit dem schreienden Kind im Arm den Raum verließ, um dem Salzhändler den Tod
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