Das Spiel der Nachtigall
erreichen.
»Nun ja«, sagte der Ritter unbehaglich, da er sich nicht eben geopfert hatte, um der Schar einen sicheren Abzug zu ermöglichen, »vielleicht hätte ich daran denken sollen, dass Verona nicht mehr so gut dastand nach seinem Besuch.«
»Vielleicht hättest du das, Bruder«, gab eine der Nonnen wütend zurück. Sie hatten ihren Beutel auf der Straße zurücklassen müssen, um schneller rennen zu können. Walther fragte sie, was sich denn in dem Beutel befunden hatte, und erfuhr nach einigem Hin und Her, es habe sich um Untergewänder und Strümpfe gehandelt. Das Problem waren die Strümpfe; die Untergewänder, welche die Nonnen am Leibe hatten, mussten eben bis Rom reichen, aber die Strümpfe nutzten sich durch das ständige Laufen ab und konnten nicht ewig geflickt werden.
Sie taten Walther leid; außerdem hatte er es noch nie gut vertragen, irgendwo eingesperrt zu sein. Also schnappte er sich Martin mit seinen Broschen und Medaillen. Gemeinsam schlichen sie aus der Herberge, um am Marktplatz ein paar italienische Trink- und Frühlingslieder zu schmettern. Sie kehrten mit frisch gebackenem Brot und zwei Paar Strümpfen für die drei Schwestern zurück. »Ihr werdet Euch eben abwechseln müssen, Schwestern«, sagte Walther und wurde gesegnet. Bisher waren ihm die Nonnen aus dem Weg gegangen, doch nun hörten sie fast nicht mehr auf zu reden.
Wie sich herausstellte, waren zumindest sie nicht wegen des Ablasses auf dem Weg nach Rom, sondern weil sie das Recht erwirken wollten, das Gemeinschaftskloster zu verlassen, in dem sie mit den Brüdern des Heiligen Benedikt lebten, um ihr eigenes Stift zu gründen, wo sie nur einer Äbtissin untertan sein würden, nicht einem Abt. Der für sie zuständige Bischof wäre Wolfger gewesen, doch in seiner Abwesenheit hatte der Abt ihres Gemeinschaftsklosters ihre Bitte strikt abgelehnt. Jede Nonne brachte neben ihrer Arbeitskraft auch ihre Mitgift mit ins Kloster; deswegen wollte er sie wohl behalten.
»Wenn wir ein Bistum in Wien hätten«, sagte die älteste Nonne und musste den Gedanken nicht zu Ende sprechen. Bei sich dachte Walther, dass sie dann immer noch vor dem Problem stünden, wem der Bischof die Mitgiften der Novizinnen mehr gönnte, doch für die Schwestern brachte er fertig, was er bei Leopold nicht vermocht hatte: Er hielt sich zurück.
Bald sprachen sie über die Hoffnungen, die sie in den neuen Papst setzten. Im Gegensatz zu Martin hatten sie schon früher von ihm gehört. »Er hat in Paris studiert und gilt als wahrer Meister des Kirchenrechts«, so hieß es, »einer der klügsten Köpfe der Christenheit«, so nannten sie ihn. Die älteste Nonne gestand, dass ihr merkwürdig zumute war bei dem Gedanken, mit einem Mal älter als der Heilige Vater zu sein, wo es sonst immer umgekehrt gewesen sei. Doch auch sie bewunderte ihn und hoffte, dass er zu ihren Gunsten entscheiden würde.
»Wisst Ihr, ob er den Gesang liebt?«, fragte Walther nur halb im Scherz und bekam zu hören, dass die Nonnen das sehr bezweifelten, obwohl sie selbst, der großen Hildegard eingedenk, Freundinnen des Gesanges seien. »Unser neuer Heiliger Vater hat in demjenigen seiner Bücher, aus dem der Abt in unserem Kloster hat rezitieren lassen, geschrieben: Aus Erde geformt ist der Mensch, empfangen in Schuld und geboren zur Pein. Er handelt schlecht, gleichwohl es ihm verboten ist, er verübt Schändliches, das sich nicht geziemt, und setzt seine Hoffnung auf eitle Dinge. Er endet als Raub der Flammen, als Speise der Würmer, oder er vermodert. Das bedeutet bestimmt nicht, dass er glaubt, man dürfe die Pein des irdischen Daseins durch weltliche Freuden lindern.«
Das klang alles andere als vielversprechend, was Walther betraf, aber sich auf halbem Weg nach Rom entmutigen zu lassen, war nicht seine Art. Nur der Bettziechenweber, der außer bei gemeinsamen Gebeten noch nie von sich hatte hören lassen, murmelte etwas davon, dass man Sänger, die Männer Gottes zur Sünde verleiteten, eigentlich dazu zwingen sollte, als Buße ein härenes Hemd zu tragen. »Ich habe eines dabei«, fügte er hilfsbereit hinzu, was ihm bewundernde Blicke der Nonnen einbrachte und Walther dazu veranlasste, das Weite zu suchen. Immerhin erinnerte ihn das Gerede von der Schlechtigkeit des Menschen daran, dass er schon viel zu lange tugendhaft gelebt hatte. Auf dem Marktplatz in Verona war ihm mehr als ein wohlwollendes Lächeln geschenkt worden, solange er die Volgare gesprochen hatte.
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