Das Spiel der Nachtigall
Leopold scharf. »Wir sind hier nicht in einem Schankhaus, wo solche Zoten vielleicht am Platz wären. Wollt Ihr behaupten, dass dergleichen am Hof Philipps geduldet wird?«
Vieles in Walther drängte ihn dazu, das zu bejahen. Um Leopolds Gesicht zu sehen; weil es ihm nicht wirklich wichtig war, was Leopold von Philipp dachte; weil es Walthers Ansicht nach nichts gab, für das er sich entschuldigen musste, denn was er gesagt hatte, entsprach der Wahrheit. Doch dann erinnerte er sich an das qualvolle Sterben des alten Herzogs und die Furcht seiner Familie, der Mann würde wegen des Bannes, der auf ihm lag, geradewegs in die Hölle fahren, und musste zugeben, dass Leopold Grund hatte, sich mit dem Heiligen Stuhl gut stellen zu wollen.
»Herr Philipp ist ein frommer Sohn der Kirche«, sagte er stattdessen, was weder ein Ja noch ein Nein war, doch Leopold genügte.
»Das will ich hoffen«, entgegnete der Herzog der Steiermark. »Ihr könnt gehen, Herr Walther.«
»Ich habe ein Lied für Euren edlen Bruder …«
»Ihr könnt gehen.«
Das kam einem Hinauswurf so nahe, wie es Walther noch nicht geschehen war. Er wanderte einigermaßen benommen durch die Gänge, ehe er bemerkte, dass ihn seine Füße zum Gemach Reinmars führten. Dieser war nicht unter den Höflingen um Leopold gewesen, sondern saß in einen warmen Pelz gehüllt mit seinem Knappen zusammen bei einem Würfelspiel, ein wenig grauer, ein wenig faltiger, doch ansonsten unverändert.
»Schau, wer eingeflogen ist«, sagte er, als er seinen Schüler erblickte; seine Stimme war leicht belegt. Walther lächelte.
»Ein gerupfter Hahn, wie es derzeit aussieht, Reinmar. Es wird dir gewiss zu Ohren kommen, aber mir scheint, Herr Leopold schätzt Bemerkungen über den Heiligen Vater und dessen Sorge um Macht und Geld noch weniger als du.«
»Nun, ich bin sicher, es wird dir bald wieder gelingen, dich mit neuen Federn zu schmücken«, gab Reinmar trocken zurück und schickte seinen Knappen, um Wein für den Gast zu holen.
»Solange du mich nicht beschuldigst, dass es fremde Federn sind …«
»Walther«, sagte Reinmar kopfschüttelnd, »deine Lieder sind zu erzürnend, um von irgendjemand anderem zu stammen.«
»Hast du das von Frankfurt gehört?«, fragte Walther schamlos neugierig, denn obwohl er im letzten Jahr noch anderes verfasst hatte, auf das er stolz sein konnte, wusste er, was sein größter Erfolg gewesen war.
»Es ist nicht das, was ich Dichtkunst nennen würde, doch es ist unvergesslich«, gab Reinmar steif zurück. Sie stürzten sich in eine Debatte über den Sinn und Zweck des Dichtens, als wäre es immer noch das Jahr nach Walthers Ankunft in Wien. Es machte ihm Freude, doch er verlor auch nie das Bewusstsein, auf einem Schiff zu stehen, das sorgsam alle Klippen umschiffte und nie zu einem gewissen Strudel kommen durfte. Schließlich fragte er Reinmar nach dessen eigenen neuen Liedern. Vielleicht, dachte Walther, werde ich Reinmars Lobpreis der unerwiderten Liebe jetzt anders hören.
Reinmar war höchst zufrieden, gefragt worden zu sein, und drei wunderbar ausgefeilte, aber gefühllose Lieder später zog Walther die Schlussfolgerung, dass er immer noch nicht ausreichend Geduld für dergleichen Entsagungshymnen hatte. Im Gegenteil: Mit jedem angehörten Vers kroch ihm der Spott erneut in die Fingerspitzen und wollte sich Luft machen.
»Du bist bei all deinen Spruchdichtungen über Fürsten und das Reich wohl nicht dazu gekommen, Neues über die Liebe zu schreiben?«, erkundigte sich Reinmar ein wenig ungnädig, denn er musste an Walthers einsilbigen Reaktionen gemerkt haben, dass er von seinen Liedern alles andere als begeistert war.
»Aber ganz im Gegenteil!« Walther gab Reinmar das kurze Verslein zum Besten, das er sich während seines Vortrags zurechtgelegt hatte.
Wer sagt, dass Minne Sünde sei,
Der soll sich erst bedenken wohl.
Ihr wohnet manche Tugend bei,
Die man mit Recht genießen soll.
Die falsche Minne mein’ ich nicht
Die hab ich nie gewollt,
Die könnt’ Unminne heißen ehr:
Und will sie hassen sehr.
»Walther, Walther, du weißt noch immer nicht, wovon du sprichst und singst«, seufzte Reinmar. »Ist es dir denn gar so wichtig, alles in den Staub zu treten, was mir lieb und teuer ist?«
»Nun, wenn es dir Befriedigung verschafft, dann lass dir gestehen, dass ich mich in eine Frau vernarrt habe, die so weit von mir entfernt ist wie nur irgendeine deiner Damen und nie die Meine sein kann. Betrachte es als Strafe Gottes.«
Es
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