Das Spiel der Nachtigall
Richildis an sich riechen; in ihrer jetzigen Stimmung hätte Judith es sich noch nicht einmal zugetraut, eine Maus zu heilen. Sie wusste, dass sich das ändern würde. Aber vielleicht gab es etwas, das sie bis dahin tun konnte.
Walther belieferte seine Gönner nicht nur mit angenehmen und stacheligen Versen: Er war in Köln gewesen, um etwas für Herzog Philipp herauszufinden, nicht nur für sich selbst, das hatte sie sich sehr schnell zusammengereimt. Vielleicht konnte er auch deswegen von seinen Liedern leben, weil er außerdem noch Geheimnisse herausfand, mit denen sich handeln ließ.
Nun, Onkel, dachte Judith, mein Herz hat nicht staufisch geschlagen, doch Ihr habt dafür gesorgt, dass es mit Sicherheit nicht welfisch schlägt, und Otto hat noch etwas bei mir gut!
»Edle Herren«, sagte sie zu den Neffen des Herzogs von Zähringen, »wenn Euer Onkel Euch so ungnädig gesinnt ist, dann gibt es einen Herrn, der gewiss über Eure Anwesenheit froh wäre, vor allem, wenn Ihr ihm berichtet, was Ihr in Andernach alles gesehen habt. Immerhin steht dort die wichtigste Feste des Erzbischofs.«
»Ihr meint …«
»Unseren zukünftigen König«, sagte Judith, »Philipp von Schwaben.«
* * *
Die einzigen Reisenden, die im Winter von Wien zu Fuß nach Italien zogen und bereit waren, Kälte, Schnee, Lawinen und kaum überquerbare Flüsse zu riskieren, waren Pilger, von denen einige so sehr um ihr Seelenheil fürchteten, dass sie nicht den Frühling abwarten wollten. Mit jeder Papstkrönung war gewöhnlich auch ein Generalablass verbunden, um den es ihnen ging. Wenn sie auch als Rompilger unter dem generellen Schutz der Kirche standen, was ihnen Sicherheit gegenüber menschlichen Übergriffen versprach, gegen Kälte und Naturgewalten half das nichts, und sie riskierten ihr Leben. Das zumindest erzählten sie Walther, der nicht erwartet hatte, sich in einer Schar Büßender wiederzufinden, und sehr erleichtert war, als sich herausstellte, dass er nicht der Einzige mit ausschließlich weltlichen Gründen war, nach Rom zu reisen: Ein Ritter mit seinem Dienstmann nahm an dem Pilgerzug teil, weil er darauf hoffte, vom Papst die Ehe seiner Eltern als gültig und sich selbst daher als erbberechtigt bestätigt zu bekommen, etwas, was bisher niemand bezweifelt habe, bis sein gerissener Hund von einem Vetter auf einmal einen Kaplan hervorzauberte, der behauptete, der verstorbene Vater des Ritters wäre vor seiner Eheschließung mit der Mutter bereits vermählt gewesen. »Das würde mich zum Bastard und meine arme Mutter zur Hure machen! Natürlich hat mein Vetter ihn bestochen«, donnerte der Ritter. »Der Bischof von Passau ist noch nicht wieder zurück, doch dessen Stellvertreter hat einfach für meinen Vetter entschieden. Fragt mich nicht, wie viel auch dem bezahlt worden ist. Aber nicht mit mir! Wenn nötig, gehe ich bis nach Rom, habe ich zu meinem Vetter gesagt, und genau das tue ich jetzt!« Genau wie Walther hatte der Ritter ein Pferd, musste es aber auch, um in der Gruppe aufgenommen zu werden, für das Gepäck zur Verfügung stellen.
Außerdem war ein Bettelmönch dabei, der sich auf das Singen verstand, was Walther bereits beim ersten Mal heraushörte, als die gesamte Schar einen Chorus anstimmte. Er trug in seiner Kapuze nicht nur Medaillen, die er in Rom segnen lassen wollte, sondern auch eine Menge Broschen, was für Walther nur so lange ungeklärt blieb, bis die Pilgergruppe zum ersten Mal in ein Städtchen einkehrte. Zwar kamen sie wie immer in einem Kloster unter, doch der Bettelmönch brachte es fertig, einigen Bürgersfrauen die Beichte abzunehmen und mit weniger Broschen zurückzukehren, dafür aber mit einem runderen Bäuchlein und der noblen Erklärung, er würde zugunsten der anderen Pilger auf seinen Anteil am gemeinsamen Mahl verzichten.
»Du und ich, mein Freund«, sagte er zu Walther, »sollten uns zusammentun. Ich stamme aus der Gegend von Brixen, du aus der Nähe von Bozen, das verbindet. Oder hast du ein Gelübde abgelegt, auf dem Weg nach Rom zu fasten?«
»Nein, aber ich bin auch nicht derjenige, der vom Anführer unserer Schar wegen des Bruchs des Gelübdes belangt werden kann«, erwiderte Walther. Bei dem Anführer handelte es sich um einen gestrengen Zisterzienser, mit dem nicht gut Kirschen essen war. Im ersten Kloster, in welchem sie blieben, hatte man ihnen anfangs kein Quartier geben wollen, weil bereits das Gefolge eines Grafen dort logierte, und der Zisterzienser war dem Benediktiner-Abt
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