Das Spiel der Nachtigall
hatte. Damals hatte er es nie für möglich gehalten, sich je fragen zu müssen, ob Tiberius recht gehabt hatte.
»Wenn ich erst gewählt, gekrönt und ein gesalbter Herrscher bin, dann wird es Sünde sein, gegen mich aufzustehen«, sagte Philipp. »Vor allem, wenn es uns gelingt, den neuen Heiligen Vater zu einem deutlichen Wort dafür zu bewegen. Das wird die Fürsten schnell in ihre Schranken weisen.«
»Kein Papst mag je einen Staufer leiden«, zitierte der Reichshofmarschall das Sprichwort, das Philipps Familie verfolgte.
»Der Grund dafür ist nicht mehr da«, gab Philipp zurück. »Konstanze hat klargemacht, dass sie ihren Sohn nur als König Siziliens und ihren Erben, nicht als Erben meines Bruders zu sehen wünscht und alle Verbindungen zum Reich beendet. Damit braucht der Heilige Vater auch nicht mehr zu befürchten, das Patrimonium Petri in unserem Reich eingesperrt zu sehen. Er hat keinen Grund, mein Feind zu sein.«
»Aber auch keinen, um Euer Freund zu werden, nicht bei der Anzahl von Bischöfen, die der Kölner jetzt schon auf seine Linie eingeschworen hat«, sagte Heinz von Kalden.
Das brachte Philipp wieder zum Kern seines Problems. Er ertappte sich dabei, dass er mit Irene darüber sprach. Ihr Vater hatte den Kaiser vor ihm gestürzt, und obwohl er nichts über die inneren Angelegenheiten der oströmischen Kirche wusste, ging Philipp davon aus, dass Isaak Angelos einen Weg gefunden haben musste, um sich mit dem Patriarchen von Konstantinopel und den Bischöfen seines Reiches gut zu stellen.
»Mein Vater ist durch einen Volksaufstand Kaiser geworden, den er geschürt und gesteuert hatte«, sagte Irene, »und er hat Andronikos Kommenos der Menge übergeben, die ihn tötete. Dann verheiratete er all seine Schwestern und Nichten mit Königen und heiratete selbst die Tochter des Königs von Ungarn. Der Patriarch wagte nicht, anders zu handeln, als ihn zu unterstützen. Aber jetzt unterstützt er wohl meinen Onkel.«
Sie klang eher sachlich als bitter, doch der Ausdruck in ihren Augen war zu alt für sie; ihre Hand ruhte auf ihrem Leib. Philipp fragte sich, ob sie fürchtete, dass es für ihr ungeborenes Kind eines Tages auch ein blutiges Ende geben könnte. Was sie von ihrem Vater erzählte, war natürlich nicht für ihn anwendbar. Er war schon verheiratet, und seine Brüder waren tot. Die Vorstellung, Volksaufstände zu entfachen und seine Feinde der Menge zu übergeben, war gleichzeitig lächerlich und entsetzlich; natürlich konnte so etwas nie im Reich geschehen. Die Bauern durften keine Waffen tragen. Wer trotzdem eine solche hatte, wurde gehängt. So musste es auch bleiben.
»Nun, leider habe ich keine Schwester, die ich mit Otto verheiraten könnte, um ihn davon abzubringen, sich für die Krone zur Wahl zu stellen«, sagte er, »und wenn der Erzbischof von Köln Angst vor mir hätte, wäre er nie auf die Idee gekommen, selbst den König bestimmen zu wollen.«
Vielleicht hat Heinz von Kalden recht, dachte Philipp und versuchte, den Gedanken wieder zu unterdrücken, aber er war einmal gedacht und senkte sich in sein Herz.
»Aber Otto ist noch nicht verheiratet«, gab Irene zu bedenken, »und es sollte mich wundern, wenn die Fürsten, die nicht den Herzog von Zähringen oder dich auf dem Thron sehen wollen, ihm nicht schon jetzt alle weiblichen Verwandten anbieten.«
Er verstand nicht ganz, worauf sie hinauswollte, und nickte verwundert.
»Hat der Landgraf von Thüringen Töchter?«
»Zwei. Eine von ihnen ist mit dem Markgrafen von Meißen verheiratet, aber die andere … nun, es sähe Hermann durchaus ähnlich, sie anzubieten, doch ich glaube, da überschätzt er sich. Thüringen ist wichtig, aber Ottos Mutter ist die Schwester eines Königs, und er ist am Hof eines Königs aufgewachsen. Die Welfen sind stolz. Ich wette, er hält nur eine Königstochter seiner würdig.«
»Sein Bruder hat deine Base Agnes geheiratet«, stellte Irene fest.
»Nun, sie ist auch die Base eines Kaisers gewesen«, sagte Philipp mit einem Lächeln, das rasch verblasste. Der Pfalzgraf Heinrich und seine Ehe mit Agnes konnten noch von Vorteil sein, wenn Walther von der Vogelweide mit seiner Bemerkung über brüderliche Eifersucht recht hatte. Doch der Pfalzgraf konnte genauso gut darauf hoffen, dass ihm sein Bruder Otto das gesamte alte Herzogtum der Welfen verschaffen würde, statt dass er sich weiterhin nur mit Braunschweig abfinden musste. Vielleicht hoffte er sogar auf Schwaben, denn dass ein König und
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