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Das Spiel der Nachtigall

Das Spiel der Nachtigall

Titel: Das Spiel der Nachtigall Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tanja Kinkel
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im Paradies leben können; so grau und fahl, wie Martin aussah, würde er es nicht noch einmal über die Alpen schaffen.
    »Dann hoffe ich, dass der Papst mir vergibt. Ich muss es noch bis Rom schaffen, Walther, hörst du das?«
    Nicht zum ersten Mal kam Walther in den Sinn, was er Martin vorgeschlagen hatte, als sein Reisegefährte anfing, seine Freude an guten Mahlzeiten und dem Lächeln der Frauen zu verlieren. Wenn Martin so sehr Absolution für seine Bettelmönchlügen wollte, dann war es doch sehr viel einfacher, dem nächsten Mönch oder gar einem Abt in einem der Spitäler zu beichten, in denen Reisende untergebracht wurden, und von diesem seine Buße auferlegt und seine Absolution zu bekommen.
    »Du verstehst das nicht, Bruder«, sagte Martin. »Diese Pilgerfahrt nach Rom ist meine Buße. Wenn ich sie vorzeitig beende, dann fahre ich zur Hölle, das weiß ich gewiss.«
    Was Walther nicht verstand – der selbst die Wahrheit oft so zurechtbog, dass sie einen besseren Sinn ergab, oder einfach so, dass man sie missverstand, weil er sie missverstanden wissen wollte –, war, warum sich Martin keine einfachere Buße gewählt hatte. »Den Mönch zu spielen, ist doch eigentlich kein so großes Vergehen. Wenn du so getan hättest, als wärest du ein Ritter«, sagte er und richtete die Spitze seines Scherzes gegen sich selbst, auch wenn Martin das nicht wissen konnte.
    »Ich habe das Sakrament der Beichte entweiht, indem ich vorgab, ein Mönch zu sein, und anderen Absolution erteilte«, murmelte Martin. »Genauso gut hätte ich das Kreuz in den Staub treten können. Das war es nicht, was ich wollte, verstehst du? Ich wollte wirklich ein Mönch sein, ein guter Mönch, aber jetzt sehe ich, dass ich entweiht habe, was mir heilig hätte sein sollen.« Seine Finger krallten sich um Walthers Arm. »Ich will nicht in der Hölle brennen!«
    »Das wirst du nicht, das wirst du nicht«, beruhigte ihn Walther, der seine Angst körperlich spürte. »Aber meinst du nicht, wir sollten hier nach einem Medicus fragen?« Vielleicht konnte ein Arzt Martin Hoffnung geben, wenn er sich schon keinem Priester anvertrauen wollte.
    »Nein! Eine Buße ist eine Buße. In Rom soll meine Heilung an Körper und Seele beginnen, so muss es kommen, nicht vorher.«

    Sie trafen am Tag vor der Papstweihe in Rom ein. Zu diesem Zeitpunkt hatte Martin bereits drei Nächte lang nicht mehr geschlafen, weil er nur noch von der Hölle träumte, selbst wenn der Branntwein ihn betäubte.
    »Gott ist gnädig«, sagte Walther und kämpfte einmal mehr gegen die aufblitzende Versuchung, Martin einfach der Pilgerschar zu überlassen. Es wäre leicht, so leicht, Martin und seiner schweißdurchtränkten Angst vor der Verdammnis zu entkommen, Martin und seinem gequälten Körper, der noch zu Beginn der Reise das Leben aus vollen Zügen genossen hatte und Walther an seine eigene Sterblichkeit erinnerte.
    Doch er blieb. Er war schon einmal davongelaufen.
    Walther hatte sich Rom wie Wien, Köln oder Frankfurt vorgestellt, nur etwas größer; womit er nicht gerechnet hatte, war das Wirrwarr an Sprachen. Ob nun wegen der Papstweihe oder um der Ewigen Stadt willen, Pilger aus aller Welt waren hier und sangen Lieder, während sie durch die Straßen zogen. An die Volgare hatte er sich inzwischen wieder gewöhnt, aber einmal kamen sie an einer Gruppe vorbei, die etwas sprach, das keine Ähnlichkeit mit dem Lateinischen oder dem Deutschen hatte. Er sprach sie an: Es waren Ungarn. Ein andermal sah er zum ersten Mal in seinem Leben drei Männer, deren Haut ganz und gar dunkel war, obwohl sie, anders als die Ungarn, in der Volgare miteinander sprachen. Das mussten Mohren aus Venedig sein. Rom war Babel, ein Teppich aus fremden Sprachen, Farben und Gerüchen, wie er ihn noch nie erlebt hatte. Unter anderen Umständen hätte er gedacht, dass dies allein schon die lange Reise wert gewesen sei. Doch die Umstände waren nicht anders, und er fragte den Bruder Vorsteher des Spitals, in dem sich die Pilger mittlerweile zu dritt ein Bett teilen mussten, weil die Stadt so voll war, ob er zufällig wüsste, welche höherrangigen deutschen Kleriker in der Stadt seien. Er hatte Glück: Der Bischof von Mainz, so wurde ihm beschieden, sei gerade aus dem Heiligen Land zurück – und der Bischof von Passau!
    Es war einfach, das Kloster zu finden; schwieriger fiel es Walther, Martin durch die Straßen zu ziehen, denn mittlerweile konnte er kaum noch drei Schritte aufrecht gehen.
    »Der Bischof ist

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