Das Spiel der Nachtigall
ein alter Gönner von mir. Wenn jemand beim Papst ein gutes Wort für dich einlegen kann, dann er«, sagte Walther, ließ ihn noch einen Schluck Branntwein trinken und schaffte es bis zum Ende der Straße, ehe Martin erneut zusammenbrach. Auf diese Weise brauchten sie einen halben Tag, doch schließlich trafen sie den Bischof von Passau gerade noch an. Er saß bereits in einer Sänfte, die ihn zur Peterskirche bringen sollte, um an dem Gottesdienst teilzunehmen, der aus Lothar von Segni endgültig Innozenz III. machen würde.
»Herr Walther?« Das Gesicht des Bischofs war etwas faltenreicher, doch mit seinem sonnenverbrannten Gesicht wirkte er gesund und munter wie eh. »Bei Gott, Ihr macht Eurem Namen Ehre! Welcher Wind hat Euch hierhergetrieben? Warum zwitschert Ihr nicht in Wien oder Hagenau?«
»Ein eiliger Wind«, sagte Walther und erläuterte hastig Martins Notlage.
»Euer Freund ist nicht der einzige Kranke, der der Absolution bedarf, Herr Walther. Herzog Friedrich«, Wolfgers Stimme war ein strafender Unterton beigemischt, der Walther daran erinnerte, dass er nicht nach dem Herzog von Österreich gefragt hatte, »siecht in einem Kloster außerhalb der Stadt dahin, und auch für ihn will ich mit dem Heiligen Vater sprechen. Im Gegensatz zu manchen hat er ein gutes christliches Leben geführt.« Er schaute auf Martin, der in seiner weinfleckigen verschlissenen Kutte, den Arm um Walthers Hals geschlungen, eher wie das Spottbild eines Trunkenbolds als wie eine gequälte Seele kurz vor dem Sterben wirkte.
»Euer Gnaden, hat nicht Christus dem Schächer am Kreuz vergeben?«
»Das hat er«, sagte der Bischof. »Ich kann Euch und Euren Freund in die Peterskirche mitnehmen. Vielleicht überlegt es sich der Heilige Vater noch einmal und erteilt doch eine Generalabsolution.«
»Aber ist das nicht Sitte?«, stammelte Martin fassungslos.
»Das war es. Doch der Heilige Vater hat vor, einige Neuerungen durchzuführen, und dies ist eine davon. Er ist ein sehr … betriebsamer Mann, was wohl an seinem Alter liegen mag. Auf jeden Fall hat er beschlossen, dass Generalabsolutionen zu Ostern und Weihnachten genügen.«
Die Peterskirche war eine alte Basilika, zu klein für die Massen, die sich versammelt hatten, doch dank Bischof Wolfger kamen Walther und Martin weit genug vorne zu stehen, um den neuen Papst aus der Nähe sehen zu können. Er war klein und schmächtig; die weiße Robe, die offenbar seinem Vorgänger gehört hatte, war zu groß für ihn. Dass er jünger war als viele der Kardinäle, die ihn umgaben, hätte die Zeremonie wie die Weihe eines Priesternovizen wirken lassen können. Doch durch sein kräftiges Kinn und die durchdringenden Augen kam kein Eindruck von Schwäche auf, und seine Stimme war, als er begann zu predigen, schneidend wie ein Schwert.
Was er zu sagen hatte, war auch nicht weniger deutlich als eine gezückte Klinge. »Vorbei sollen die Zeiten sein, in denen es weltliche Herrscher gewagt haben, sich in die Papstwahl einzumischen. Der Papst ist nicht nur der Stellvertreter, sondern auch der Statthalter Christi auf Erden. Das bedeutet, dass er es ist, der über den weltlichen Herrschern steht.« Walther konnte sich nicht vorstellen, dass irgendein deutscher Fürst, ob nun Philipp, Otto oder Berthold, glücklich darüber sein würde, das zu hören, und er war noch selbst damit beschäftigt, sich über den aufsteigenden Groll in sich selbst zu wundern, als Innozenz vom Zustand der Welt auf den Zustand des Menschen zu sprechen kam. »Der Mensch«, verkündete er, »ist nichts als eine Hülle aus Dreck, Blut, Schleim und Eiter, die es verdient, zu verrotten, denn er wählt immer wieder das Schlechte, statt Gott und seinen Dienern zu folgen.« Dann ging er dazu über, die Qualen der Hölle auszumalen, die jede irdische Folter überstiegen und aus denen es kein Entkommen gab. »Jeder Augenblick des Leidens wird Ewigkeit sein«, donnerte Innozenz, »keine Vergebung ist mehr möglich, niemals. Und ihr, die ihr glaubt, eurer Strafe entrinnen zu können: Sterben werdet ihr in eurem eigenen Kot und ersticken darin!«
Es war für Walther unmöglich, Martin länger aufrecht zu halten; sein Freund sank in die Knie und fing an zu schluchzen, während die geißelnde Stimme über sie hinweg von hinausgerissenen Eingeweiden und ewigen Flammen sprach. Mehr und mehr Zuhörer brachen in Tränen aus oder jammerten leise vor sich hin. Doch Martin war der Einzige, der sich zusammenrollte, zuckte und krümmte, als
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