Das Spiel der Nachtigall
bestehen, erst noch seinen Zorn auszutoben, ihn wie einen Heuchler dastehen lassen würde, und nickte. Der Bischofssohn versicherte hastig, auch er würde selbstverständlich gerne für den Herzog, seine Genesung und eine baldige Wiederaufnahme in den Schoß der Kirche beten. Alle Herren machten sich auf den Weg, einschließlich Reinmars. Doch als Walther ihnen folgen wollte, legte Friedrich einen Arm um seine Schulter und hielt ihn zurück.
»Herr Walther, ich wünsche nach wie vor, dass Ihr meinen Vater von seinen Schmerzen ablenkt, wenn der Bischof wieder gegangen ist.«
»Selbstverständlich, Euer Gnaden.«
Zu Walthers Überraschung zog ihn der Herzogssohn noch ein wenig näher und raunte leise: »Und ich wünsche auch zu erfahren, wo das restliche englische Silber aufbewahrt wird. Findet das für mich heraus, dann werdet Ihr Euer Lied weiter in Wien singen können. Wenn nicht, dann werfe ich Euch Leopold zum Fraß vor.«
Kapitel 2
D ie Weihnachtsfeiertage und die Zeit zwischen den Jahren war eigentlich ein Gottesgeschenk für Dichter und Sänger: Schließlich sorgte der Schnee dafür, dass die Menschen zusammengedrängt in einem gut geheizten Raum blieben und unterhalten werden wollten. Die langen dunklen Nächte waren außerdem nicht schlecht dafür, an neuen Versen zu feilen. Aber in diesem Moment war er mehr damit beschäftigt, das Rätsel zu lösen, das der Herzog und seine Söhne für ihn darstellten.
Wenn jemand wissen sollte, wo der Herzog den Rest des englischen Silbers aufbewahrte, dann musste es doch eigentlich sein ältester Sohn sein. Daher war es sehr wohl denkbar, dass Friedrichs Aufforderung eine Prüfung darstellte, bei der Walther nur verlieren konnte. Wenn er den wahren Aufenthaltsort nicht herausfand, dann stand er als zu dumm für solche Aufträge da; wenn er es tat, dann als nicht vertrauenswürdig, weil er bereit wäre, den Herzog an dessen Sohn zu verraten. Nur eins stand fest: Wenn der Herzog starb, und das schien mit jeder Stunde wahrscheinlicher zu werden, dann würde ihm einer seiner beiden Söhne nachfolgen, und ganz egal, was Friedrich im Schilde führen mochte, Leopold war gewiss nicht gesonnen, einen Sänger zu fördern, der ihn vor anderen verärgert hatte.
Der Herzog selbst war keine Hilfe. Nach dem Gespräch mit Bischof Wolfger war er in einen Fiebertraum gefallen, der den ganzen Tag anhielt. Als Walther einen der Diener am Abend wieder an Friedrichs Befehl erinnerte, er möge die Leiden des Herzogs durch seine Poesie und seinen Gesang lindern, drückte ihm der unverschämte Kerl das bereits stinkende Unterbein in den Arm: »Du willst helfen? Dann schaff um alles in der Welt das Ding hier fort.«
Es war nicht der Augenblick, den Herrn herauszukehren, auch deswegen nicht, weil Walther das Gefühl hatte, dass die Diener ihm den Ritterstand weniger abnahmen, als der Adel es bisher tat. Das wunde Stück Menschenfleisch auf den Abfallhaufen zu werfen, der in der Nähe der Küche lag, schien allerdings kaum angebracht. So fand Walther sich schließlich im Schlossgarten wieder, wo er den Schnee zur Seite schaufelte und mit einem Schürhaken den Boden genügend aufbrach, um das herzogliche Bein darin zu beerdigen.
Der Rückweg gestaltete sich für Walther erfreulicher: In den langen Gängen der Residenz traf er die bevorzugte Hofdame der Herzogin, Martha von Kronsheim. Walther hatte gelernt, dass sein geschickter Umgang mit Worten ihm bei Hofe nicht nur Türen öffnen, sondern hinter ebendiesen auch manche Röcke heben konnte, wovon er eifrig Gebrauch machte, wann immer sich ihm die Gelegenheit bot. Doch an dem verlockendsten Preis für seine Kunst hatte er sich bisher die Zähne ausgebissen, denn all seine Komplimente prallten an der reizvollen jungen Witwe ab wie Regentropfen an einer Rüstung. Auf sein »Seid gegrüßt, schöne Martha. Ich hoffe, Ihr langweilt Euch nicht an Tagen wie diesem« rechnete er daher wie immer mit einer frostigen Aufforderung, seiner Wege zu gehen. Doch es kam anders. Die Hofdame ließ etwas in ihrer Hand verschwinden, was sie gerade noch traurig angestarrt hatte, und sagte matt: »Schönheit ist vergänglich; die Zeit fliegt.«
Er nahm diese Vorlage nur zu gern an. »Wollt Ihr damit sagen, dass ein strahlender Tag weniger schön ist als ein Morgen? Es ist anders, aber bestimmt genauso prächtig. Wie kann denn wahre Schönheit vergänglich sein? Ihr selbst beweist doch ständig das Gegenteil, mit Eurem Aussehen, das die Begriffe für Eifersucht
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