Das Spiel der Nachtigall
keinen, der so schlechte Ärzte schickt, dass sie keine Hunde retten können.«
»Nun, Ihr seid diejenige, die ja oder nein sagt«, antwortete Judith. »Ihr allein.«
Es war nicht gerade heldenhaft, ein Kind so zu beeinflussen, aber andererseits konnte sie sich nicht vorstellen, dass irgendjemand mit Otto glücklich werden würde. Natürlich würden Maries Eltern sich letztendlich nicht darum kümmern, was sie wollte, aber Marie wirkte eigenwillig genug, um sich bis zum Altar zu weigern, ja zu sagen, zumindest jetzt noch, solange sie jung und Kind genug dafür war, und mehr als eine Verzögerung war auch nicht nötig. Gewiss würde Otto, war Philipp erst als König anerkannt, an die Seite seines Onkels zurückkehren und versuchen, sich mit dem Thron von England zu trösten. Aber dann brauchte er Marie nicht mehr.
»Warum spielt Ihr nicht ein Schlaflied?«, schlug sie dem Spielmann vor. »Es ist spät geworden.«
»Es juckt immer noch viel zu sehr, als dass ich schlafen könnte«, murrte Marie, doch sie legte sich zurück, während der Spielmann eine sanfte, beruhigende Weise anstimmte, die Judith bekannt vorkam. Nach einigem Überlegen fiel ihr wieder ein, dass sie die gleiche Melodie in Wien gehört hatte, von dem Sänger Reinmar, ehe Walther den Saal betreten hatte, und sie wünschte sich, sie hätte gerade jetzt nicht daran gedacht.
Gilles gefiel es nicht, dass sie sich immer noch in Brüssel befanden, doch er hatte seine Zeit genutzt. Die Herzogin Mathilde, so hieß es in der Stadt, sei bereit, alles zu tun, um möglichst glanzvolle Hochzeiten für ihre Töchter abzuschließen, damit das den Makel ihrer eigenen Geburt auslöschte. Ihr Vater hatte seinerzeit ihre Mutter aus dem Kloster entführt, dessen Äbtissin sie gewesen war. Daher war die Ehe ihrer Eltern nie von der Kirche anerkannt worden. Man hatte Mathilde nachträglich legitimiert, was sehr viel Geld und Einfluss gekostet hatte, doch das Spottwort vom Nonnenkind machte nach wie vor die Runde. Wenn eine ihrer Töchter allerdings Königin und Kaiserin des Heiligen Römischen Reiches wurde, dann gäbe es diese Art Häme natürlich nicht mehr.
»Zu schade, dass Herzog Philipp schon verheiratet ist«, sagte Gilles halb im Spaß, halb im Ernst. »Vielleicht würde sie sonst ihren Groll auf die Staufer verlieren. Immerhin ist auch er ein Klosterangehöriger auf freiem Fuß.«
Judith zog eine Grimasse. Nach dem, was sie beobachtet hatte, behandelte Philipp Irene gut; das war eine Erleichterung, denn wenn er genauso wie Otto gewesen wäre, dann wäre die Byzantinerin vom Regen in die Traufe geraten. Doch das bedeutete noch lange nicht, dass sie sich ein Kind wie Marie überhaupt verheiratet wünschte, es sei denn, mit einem anderen Kind. Vielleicht würde Irene eines zur Welt bringen, doch das war dann auch neun Jahre jünger als Marie, und damit …
Plötzlich hielt sie inne, denn ihr fiel ein, dass Philipp nicht der einzige lebende Staufer war. Der Gedanke, der ihr kam, war verführerisch, doch sie hatte keine Ahnung, ob man ihn auch in die Tat würde umsetzen können.
»Wie lange sollen wir noch hierbleiben?«, fragte Gilles.
»Nur noch ein, zwei Tage. Dann bin ich sicher, dass die Mägde wissen, was zu tun ist, und mit der Tierkrätze alles so läuft, wie es sollte. Ich möchte einfach sehen, wie die Heilung fortschreitet, bevor ich gehe«, gestand sie und schaute auf ihre Hände, die jetzt, wo niemand außer Gilles sie sehen konnte, wieder leicht zitterten. Seit Richildis’ Tod geschah ihr das, nicht ständig, doch es verging kein Tag, an dem es nicht mindestens einmal passierte. In ihrem Herzen war sie überzeugt, dass es erst verfliegen würde, wenn sie jemandem das Leben gerettet hatte. Das war bei Marie zwar nicht der Fall, doch ihre Genesung würde helfen.
Am Morgen des übernächsten Tages, den sie und Gilles in den Quartieren für niedere Hofleute und Dienstboten begannen, sah es zunächst so aus, als hätte Judith sich damit verdammt, denn sie war kaum angekleidet, da zerrte man sie in die Gemächer der Herzogin.
»Gerade«, sagte Mathilde unheilverkündend, »hat mich der Bescheid erreicht, dass der Arzt, den Graf Otto gesandt hat, auf offener Straße erschlagen wurde. Nur einer seiner Knechte konnte entkommen. Wer bist du, und was hast du mit den Mördern zu schaffen?«
Es war an der Zeit, alles auf einen Wurf zu setzen, denn auf das, was nun kommen würde, hatte sie niemand vorbereitet.
»Gar nichts, Euer Gnaden. Mich hat der
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