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Das Spiel der Nachtigall

Das Spiel der Nachtigall

Titel: Das Spiel der Nachtigall Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tanja Kinkel
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immer noch auf ein besseres Angebot wartet? Eine Nachfahrin Karls des Großen zu ehelichen ist eine Ehre, der er sich bewusst sein sollte, und kleinliches Feilschen um die Mitgift ziemt sich nicht für einen Mann seines Ranges. Ganz zu schweigen davon, dass es bei der Heirat um das Wohl des gesamten Heiligen Römischen Reiches geht!«
    »Nun, mein Herr …«
    »Es muss vor den Staufern gerettet werden!«, unterbrach die Herzogin Mathilde, die offenbar zu den Naturen gehörte, deren Gespräch mehr Wasserfällen als stillen Flüssen glich. »Heinrich, möge er in der Hölle schmoren, hat meinen armen Schwager umbringen lassen, weil er ihn nicht als Bischof von Lüttich sehen wollte. Einen Mann Gottes! Und wer hat die üble Tat damals in die Wege geleitet, frage ich Euch? Kein anderer als Heinz von Kalden, der jetzt meinen Gatten im Heiligen Land im Stich gelassen hat, um an die Seite dieses Nichts von Philipp zurückzukriechen. Er hat wahrscheinlich gehofft, dass die Heiden meinen heldenhaften Hans für ihn ermorden. Dieser Art von Männern ist das Reich ausgeliefert, wenn wir nicht schnell genug handeln!«
    »Deswegen …«
    »Jaja, ich weiß, Euer Herr muss sich vergewissern, dass meine kleine Marie gesund und munter ist. Das verstehe ich. Aber ich muss darauf bestehen, dass mein Goldstück danach nicht nur als seine Verlobte bezeichnet wird, nein, er soll sie bei seiner Krönung als deutscher König an seiner Seite gehen lassen. Das ist unabdingbar! Nicht, dass ich Graf Otto etwas unterstellen möchte, aber so mancher Fürst hat die Mitgift eines armen Kindes eingesäckelt, als er sie brauchte, die Eltern jahrelang hingehalten und am Schluss eine andere geehelicht.«
    Da der Grund ihrer Anwesenheit in Brüssel alles andere als die Förderung von Ottos Eheabsichten war, nutzte Judith den Moment, als selbst die Herzogin Mathilde einmal tief Atem holen musste, und warf ein: »Auch Graf Otto würde sich nie unterstehen, Euer Gnaden etwas zu unterstellen, aber es soll in der Vergangenheit edle Fräulein gegeben haben, deren nobles Blut nicht mit einem gerade gewachsenen Körper und der Fähigkeit einherging, Kinder zu gebären.«
    Das brachte die Herzogin nicht dazu, Otto oder Judith als unverschämt zu bezeichnen, sondern nur, die Achseln zu zucken und zu bestätigen, dem sei so, aber ihre Marie habe nichts zu verbergen. Überhaupt seien all die Gerüchte nur böswilliges Geschwätz niederer Seelen. Judith wusste von keinen Gerüchten, schwieg deshalb und folgte der Herzogin in ein Gemach, wo drei kleine Mädchen mit Kreiseln auf dem Boden spielten. Die beiden älteren waren Zwillinge, und damit war Judith einiges klar, als sie über ihre Bestürzung angesichts von Maries Alter einmal hinweg war. Erasisthrates hatte die Vermutung aufgestellt, dass Zwillinge nur durch eine doppelte Befruchtung entstehen könnten, dadurch, dass die Mutter mit zwei Männern schlief. Obwohl mittlerweile viele Ärzte nicht mehr seiner Meinung waren, hielt sich bei den meisten Menschen zumindest ein Misstrauen gegenüber den Müttern von Zwillingen. Die Heiratsaussichten für Zwillinge waren daher nicht sehr groß, denn man konnte sich bei keinem Kind der Vaterschaft gewiss sein. Eine Mitgift wie der Reichtum und die Macht Brabants und die edle Abstammung machte das vermutlich für die meisten Freier wett, doch Judith bezweifelte, dass ein deutscher König, der nicht in einer schweren Notlage steckte und dringend Geld und Stimmen brauchte, normalerweise dazu gehört hätte.
    »Marie«, rief die Herzogin, und eines der beiden Mädchen sprang auf. Sie hatte haselnussbraunes, lockiges Haar, eine Stupsnase, blaue Augen und ein so offenes Lächeln, als sei ihr noch nie im Leben ein Fremder begegnet, der anders als freundlich zu ihr gewesen war. Als Tochter eines reichen Herzogs traf das vermutlich auch zu, doch Judith konnte sich dieses Kind um alles in der Welt nicht als Gattin von Otto vorstellen. Sie versuchte, sich zehn Jahre dazu zu denken und Marie als hochgewachsene Frau mit den üppigen Formen ihrer Mutter zu betrachten, doch alles, was ihr Verstand ihr stattdessen vorgaukelte, war ihr sogenannter Hochzeitsabend, als Otto seinen Kopf in ihren Schoß gelegt, seine Hände an ihren Hüften hatte und nichts als johlende Rufe und Gekichere um sie herum war. Es erweckte in ihr den absurden Wunsch, das kleine Mädchen an der Hand zu nehmen und mit ihm fortzulaufen, so, wie es Gilles mit ihr an jenem Abend getan hatte.
    »Ich muss schon sagen, es

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