Das Spiel der Nachtigall
hatte, waren von Pusteln, Blasen, Schorfwunden und Furunkeln geplagt worden, und all das war mit der Zeit abgeklungen und verheilt, aber es hatte auch einen Mann gegeben, dessen Hände zu krabbenartigen Klauen geworden waren, ehe er überhaupt in Salerno eintraf, und ihm hatte man nicht mehr helfen können. Francesca hatte darauf bestanden, alle Kleidung und jeden Fetzen Tuch, der mit ihm in Berührung gekommen war, zu verbrennen.
Man konnte der Herzogin Mathilde wirklich nicht mangelnden Unternehmungsgeist nachsagen: Binnen kurzem hatte sie ihren Kaplan beordert, Judith mit allem Weihrauchharz zu versorgen, das sie benötigte, und genug heißes Wasser für drei Vollbäder erhitzen lassen, was Judith empfehlen ließ, dass Maries Schwestern in anderen Wannen ebenfalls gewaschen werden sollten. Als Judith um den kostbarsten aller Stoffe bat, Seide, bekam sie ihn sofort, obwohl der Haushofmeister wissen wollte, wofür, und zunächst sehr ungehalten war, als er Judith die Seide zerschneiden und Bänder daraus machen sah.
»Man kann von einem Kind nicht erwarten, dass es aufhört, sich zu kratzen«, sagte Judith. »Vor allem nicht, wenn es so entsetzlich juckt. Also werde ich Eurer kleinen Herrin die Handgelenke binden, aber nicht mit einem Strick, der sie nur schlimmer aufschürfen würde.«
»Ihr wollt die Erbin von Brabant fesseln wie eine Gefangene?«
»Zu ihrem eigenen Besten, und nicht den ganzen Tag lang. Sie muss die Arme hin und wieder auch bewegen.«
Außerdem bat sie um einen Spielmann und einen Gaukler, um das Kind abzulenken. Wegen des Festes zu Ehren von Hans von Brabant und seinen Siegen waren mehr als genügend in der Stadt. Marie sprach einen starken Dialekt, hatte aber selbst keine Probleme, Judith zu verstehen, als diese ihr erklärte, warum das alles nötig war.
»Wenn ich erst Königin bin«, sagte Marie, »werde ich verbieten, dass irgendjemand die Krätze bekommt.«
»Das ist leider kein Verbot, das Fürsten erteilen können. Krankheiten kann man nur bekämpfen, nicht verbieten.«
»Werdet Ihr auch Mouche heilen, Magistra?«
»Wer ist denn Mouche?«
»Mein Schoßhund«, sagte Marie. »Sie hat die Räude.«
Damit war zumindest geklärt, wie und wo sich das Mädchen angesteckt hatte. Außerdem war es eine Erleichterung, denn die Art der Krätze, die von Tieren übertragen wurde, befiel Menschen Judiths Erfahrung nach nicht so heftig. Um den Hund allerdings war es geschehen. Die Herzogin gab den Befehl, das Tier augenblicklich töten und verbrennen zu lassen, als sie davon hörte. Marie weinte einen halben Tag lang und weigerte sich zunächst, mit Judith zu sprechen. Danach erklärte sie ihr, wenn sie erst Königin sei, würde sie Ärzte, die ihre Schoßhunde nicht retteten, hinrichten lassen.
»Dann«, sagte Judith, »werden nicht mehr viele Ärzte an Euren Hof kommen. Wir hängen alle an unserem Leben, und keiner von uns kann immer und bei jedem Patienten erfolgreich sein. Aber wenn Ihr erst Königin seid, könnt Ihr befehlen, dass keine Hunde mehr getötet werden.«
Marie schniefte. »Was, wenn mein Gemahl Hunde hasst?«
Der Gaukler, der sie durch Bälle, Reifen und kleine Handpuppen ablenken sollte, saß mittlerweile dösend in einer Ecke, doch der Spielmann war noch hellwach. Trotzdem, dachte Judith, ist das jetzt der Zeitpunkt. »Nun, deswegen ist es gut, dass Ihr den Grafen Otto nicht gleich heiraten werdet. Je länger Eure Verlobungszeit mit ihm dauert, desto besser könnt Ihr herausfinden, ob er Hunde hasst oder nicht. Und ob er König wird oder nicht.«
Das kleine Mädchen starrte sie erstaunt an. »Mein Hund musste sterben, und ich muss Pflaster und Fesseln tragen, aber er wird noch nicht einmal sicher König? Meine Mutter hat mir versprochen, dass ich Königin werde!«
Der Spielmann gab keinen Mucks von sich, doch seine Augen waren fest auf Judith geheftet. Mit ihm würde sie später sprechen müssen.
» Graf Otto«, gab sie zurück und betonte den Titel, »muss erst gewählt werden. Das soll noch in diesem Jahr geschehen, aber niemand kann mit Gewissheit sagen, was die Zukunft bringen wird. Vielleicht wählen die deutschen Fürsten einen anderen zum König.«
»Wenn er nicht König wird, dann will ich ihn nicht«, entschied Marie. »Ich bin eine Nachfahrin von Karl dem Großen, und mein Papa ist ein Herzog. Da kann ich keinen Grafen heiraten!« Sie warf Judith einen immer noch verletzten Blick zu, als diese den Verband und das Pflaster auswechselte. »Und schon gar
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