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Das Spiel der Nachtigall

Das Spiel der Nachtigall

Titel: Das Spiel der Nachtigall Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tanja Kinkel
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unverhofft gestorben war. Beinahe hätte er das Otto-treue Straßburg erobert, doch dann brandschatzte Otto Koblenz, so dass Philipp seine Belagerung abbrechen und der Stadt zu Hilfe kommen musste. Keinem von beiden war es im vergangenen Jahr gelungen, einen so großen Vorteil zu erringen, der den Gegner zum Aufgeben gezwungen hätte. All dies nützte nur einem: dem neuen Papst. Walther presste den Mund zusammen. Was er kurz vor seiner Abreise in Passau noch erfahren hatte, machte ihn wütend und froh zugleich. »Innozenz III. hat sich nach reiflicher Überlegung für Otto entschieden, was aber erst verkündet werden soll, wenn dessen Zusagen verbindlich vorliegen«, hatte es Bischof Wolfger ausgedrückt. Walther nahm an, dass Otto dem Papst also ein besseres Angebot gemacht hatte. Hugo erzählte nach einigen Bechern etwas von großen Ländereien in Mittelitalien und aus dem Territorium von Sizilien, die an den Kirchenstaat angrenzten und nun an den Papst gehen sollten. Auf staufisches Gebiet zugunsten des Papstes zu verzichten, war für Otto eine geschickte Lösung, die ihn nichts kostete.
    Eine päpstliche Festlegung würde für Philipp und viele seiner Anhänger ein Schlag sein, doch soweit es Walther betraf, war es auch ein Vorteil. Bisher war jedes Mal, wenn er ein Lied vortrug, in dem er den Papst angriff, ein Teil seiner Zuhörer sehr verstört gewesen, ganz gleich, ob sie Ritter, Bürger oder Bauersleute waren, und dabei hatte jeder von ihnen bestimmt schon schlechte Erfahrungen mit gierigen, scheinheiligen und unwürdigen Kirchenmännern gemacht. Trotzdem waren sie auf den Bänken und Stühlen herumgerutscht oder aus dem Raum gegangen. Gewiss, ein Teil war geblieben, hatte gelacht und ihn sogar angefeuert, aber man spürte doch, wie eine Mehrheit fand, er ginge zu weit, und über den Stellvertreter Christi solle man nicht so sprechen. Sie hatten nicht erlebt, was er erlebt hatte, oder nicht verstanden, was er ihnen vermitteln wollte. Doch nun, wo der Papst sich nicht nur herausnahm, den König im Reich zu bestimmen, sondern auch alle Anhänger seines Gegners zu bannen, da musste der Zorn, der in Walther brannte, auch aus anderen im Lande herausschlagen. Von einem Italiener zur Hölle verurteilt zu werden, nicht, weil man sündigte, nicht, weil man gegen die Gebote Gottes verstieß, sondern nur, weil man einem deutschen Fürsten folgte, dessen Vater und Großväter deutsche Könige und Kaiser gewesen waren, das ging zu weit! Diese Ungerechtigkeit musste jedem ins Auge stechen. Der Umstand, dass Philipp ihn jetzt doch für die Lieder gegen den Papst bezahlen würde, war natürlich auch nicht zu verachten.
    Walther war aus Rom zunächst nach Wien zurückgekehrt, wo die Nachricht von Friedrichs Tod inzwischen eingetroffen war, was Leopold zum alleinigen Herzog von Österreich und der Steiermark machte. Von Respektlosigkeiten gegenüber dem Heiligen Stuhl wollte er noch weniger wissen als vorher. Seither führte Walther ein Wanderleben, was zu Friedenszeiten erheblich einfacher war, doch er führte es nicht alleine.
    »Wir sollten hier nicht lange bleiben«, sagte Markwart. »Die Kerle da drüben sehen nicht so aus, als ob sie vor Lebenden haltmachen, wenn sie bei den Toten nicht genügend finden.«
    Die Pilgerfahrt nach Rom hatte Walther klargemacht, wie kurz das Leben sein konnte, und vielleicht war er deswegen in den einzigen Ort zurückgekehrt, den er eigentlich nie wiedersehen wollte. Er hatte damit gerechnet, seinen Vater tot zu finden, doch nein, es ging ihm gut, umso mehr, weil er erneut geheiratet und Kinder in die Welt gesetzt hatte. Die zweite Frau war ein liebenswertes Nichts, dem man nicht böse sein konnte, und blieb genau wie seine Halbgeschwister für ihn eine Unbekannte. Von Walther von der Vogelweide hatte keiner von ihnen gehört; so viel zu dem Ruhm, von dessen Reichweite Walther bis zu seiner Ankunft überzeugt gewesen war.
    Die große Überraschung kam, als er abreisen wollte. »Als wir Jungen waren, musste ich dich fast knebeln und fesseln, damit du mit mir gingst«, hatte Walther ungläubig zu Markwart gesagt, der mit einem geschnürten Bündel vor ihm stand, »und du bist so schnell wie möglich wieder aus Wien verschwunden, weil dir der Hof deines Vaters wichtiger war.«
    »Das war damals. Ich bin älter geworden, Walther. Den Hof führt mein Bruder. Und … und es gibt – nun, es …« Nach einigem Hin und Her hatte sich herausgestellt, dass Markwart, der in ihrer gemeinsamen Jugend

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