Das Spiel der Nachtigall
die, wie sich herausstellte, keine Kriegsknechte waren, sondern zum Gesinde gehörten und nur mit Knüppeln ausgestattet worden waren. Eine Vorsichtsmaßnahme, auf die der Hausherr bestand.
»Mein Vater sagt, man kann nie wissen in diesen Zeiten«, meinte Paul. Ob er sich dabei auf den Krieg oder auf etwas anderes bezog, ließ er offen. Er selbst plante, für Otto zu kämpfen, sobald es sein Vater ihm erlaube. »Philipp muss ein ehrloses Ungeheuer sein«, fügte er hinzu.
»Sagt das Euer Vater?«
»Nein, das kann ich selbst erkennen, wie jeder in Köln. Er hat Straßburg bereits angreifen lassen, bevor er im September in Mainz gekrönt worden ist!«
»Nun, er war gewählt, und da der Bischof von Straßburg sich für Otto … für den König erklärte …«
»Und dann«, fuhr Paul fort, »hat er Andernach verwüstet. Unser Andernach!«
»Eine der wichtigsten Festungen des Stifts«, sagte Walther zu Markwart, der immer unbehaglicher dreinblickte.
»Was mit der Nonne geschehen ist, hat aber nichts mit Festungen zu tun«, rief Paul empört. »Oder habt Ihr etwa nichts davon gehört? Eine Nonne von Andernach ist geteert, gefedert und verkehrt herum auf einem Pferd durch die Gegend geführt worden. Wer tut einer Frau Gottes so etwas an? König Otto würde seinen Mannen so ein Verhalten niemals gestatten. Er ist ein echter Ritter.«
»Wir sind auf dem Weg hierher durch Dörfer gekommen, die von König Ottos Leuten verwüstet waren«, sagte Markwart und klang, als versuche er, etwas vor sich selbst zu rechtfertigen. Die Geschichte von der Nonne klang wirklich übel, das musste Walther zugeben. Aber gerade jetzt konnte er nicht darüber nachdenken, ob sie stimmte, genauso wenig wie ihm danach war, dem Jungen zu erzählen, die Welfen hätten das Marienstift in Aachen, das schon seit Karl dem Großen kirchliches Gebiet war, seinen Thron beherbergte und schon seit ewigen Zeiten Immunität gegenüber allen weltlichen Mächten besaß, mit Gewalt erobert, nur um Otto dort krönen zu können. Die Kanoniker, so hieß es, habe man dabei zwingen wollen, Frauenkleider zu tragen. Nein, man habe sie gezwungen, im Staub zu kriechen. Nein, man habe sie gezwungen, einander die Schwänze zu lutschen. Die Geschichten wurden jedes Mal wilder und abstoßender, je öfter sie erzählt wurden. Im Grunde bewiesen diese Mären nur, dass die Anhänger von Otto und Philipp wussten, was für eine Waffe ein guter oder schlechter Ruf heutzutage war. Und das wiederum bewies, dass sie sich beide mittlerweile stark in die Enge getrieben sahen.
»Ich würde gerne mehr von Ottos Ruhmestaten hören«, sagte Walther und zerbrach sich den Kopf, wie er das Gespräch wieder auf Judith lenken konnte. Anscheinend erhörte ein Schutzheiliger, den er noch gar nicht angerufen hatte, seine Hoffnung, denn Paul sagte bereitwillig: »Nun, jeder weiß, dass Otto ein so tapferer Krieger wie sein Onkel ist, aber er tut auch Edles, von dem niemand erfährt. Mein Vater hat mir erzählt, dass er die Ehe zwischen Jutta und Gilles gestiftet hat. Wisst Ihr, Gilles ist ein netter Kerl, aber eben sehr arm, und Jutta hat von ihrem Vater auch nicht viel geerbt. Als der König in Chinon von der Not der beiden hörte, als Vater sie mitgenommen hatte, um den König zur Wahl zu bitten, da hat er ihnen sogar eine Hochzeitsfeier ausrichten lassen!«
»Was für ein großzügiger Fürst«, murmelte Walther, erinnerte sich aber noch genau an die heftige Abneigung in Judiths Stimme, als sie ihm von dem Handel zwischen König Richard und ihrem Onkel um Kölner Zollprivilegien erzählte, und verstand die Welt wieder ein Stückchen weniger. Er hatte sie mit Gilles gesehen. Offenkundig empfand sie Zuneigung für ihren Gemahl. Wenn Otto wirklich ihre Ehe gestiftet hatte, warum war sie damals nicht voller Welfenbewunderung und daher unwillig gewesen, Geheimnis gegen Geheimnis zu tauschen? Vielleicht hatte Otto es für ihren Onkel getan, als zusätzlichen Gefallen und Dank für die angebotene Krone, aber wenn ein reicher Kaufmann wie Stefan einen Gemahl für seine Nichte suchte, dann bestimmt nicht einen, der von seinem Sohn gerade als sehr arm bezeichnet wurde.
Er musste zugeben, dass ihm die Möglichkeit gefiel, dass an Judiths Ehe etwas nicht stimmte, und schalt sich gleich wieder selbstsüchtig.
»Ich dachte, Jutta käme für seine Krönung zurück, als königliche Leibärztin«, sagte Paul niedergeschlagen. »Aber das tat sie nicht. Und … nun … ich dachte, vielleicht wisst Ihr mehr.
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