Das Spiel der Nachtigall
hatte sich im letzten Jahr mit großem Getöse auf Ottos Seite geschlagen.
»Aber Ihr müsst zugeben, dass harte Zeiten für Könige immer noch großzügiger ausfallen als solche für Landgrafen. Doch selbst, wenn es mir nicht gelingen sollte, die Gunst des Königs zu erringen, muss ich, wie Ihr seht, in Eurer schönen Stadt eine fromme Pflicht erfüllen. Ich kam gerade noch rechtzeitig, um die letzten Worte dieses jungen Kölner Streiters zu hören. Nun möchte ich seiner Familie wenigstens den Trost bringen, dass er nicht alleine gestorben ist. Er sagte, sein Name sei Gerhard, und sein Vater sei …«
»Hubert der Bierbrauer. Ach, verflucht!« Die Stadtwache ließ sie danach nur noch Zoll für Walthers Pergament bezahlen.
Während sie durch die Gassen gingen, sagte Markwart: »Es ist herzlos, Eltern etwas über den Tod ihres Kindes vorzulügen.«
»Herzlos wäre es, wenn ich über einen Lebenden löge, er sei tot, oder über einen Toten, er sei noch am Leben. Dieser Gerhard ist tot, so oder so. Durch mich erfahren sie es, was sonst wahrscheinlich nie passiert wäre, und sie werden wissen, wo er beerdigt liegt. Wenn ich einen Sohn hätte, wäre mir das lieber, als mir vorstellen zu müssen, dass er auf einem elenden Acker nur auf Vögel und wilde Tiere als Bestatter hoffen kann.«
»Ich nehme alles zurück. Du hast dich nicht verändert«, sagte Markwart. »Du bist immer noch gut darin, eine Wildpastete zu stehlen und dem Koch zu erzählen, dass du es nur in Gedenken an das tote Reh tust.«
»Du hast damals die Pastete mit mir geteilt, also hör auf, dich zu beschweren.« Trotzdem wusste Walther, was Markwart meinte, und verschwieg, wie unwohl er sich selbst fühlte.
Als sie Hubert den Bierbrauer gefunden und die Leiche vom Pferd gehoben hatten, war es nicht mehr möglich, innerlich ruhig und unberührt zu bleiben, nicht bei den Rufen »mein Sohn, mein Sohn!« von Seiten des Bierbrauers und bei dem Anblick von Gerhards Mutter, die auf die Straße lief und nicht mehr aufhören wollte zu weinen. Aber er war ein Geschichtenerzähler; die Erzählung, die er für den Bierbrauer und seine Gemahlin spann, war so trostreich, wie Walther sie machen konnte. Er ließ sich davon hinwegtragen und fügte Kleinigkeiten hinzu wie die, dass Gerhard »Mutter« geflüstert und seine Hand gedrückt hatte, als er schließlich verblich.
Zu seiner Überraschung versiegte der Tränenfluss der Bierbrauergattin sofort, und der Bierbrauer schaute auf, Verwirrung und aufflammenden Zorn im Blick. »Mutter? Aber er kann doch nicht an diese Dirne gedacht haben! Er hat sie gar nicht gekannt!«
Etwas war ganz deutlich nicht so, wie es sein sollte, doch die Aussage zurücknehmen und zu etwas unverfänglichem wie »dir, Jesus, empfehle ich meinen Geist« verändern konnte Walther nicht, ohne sich als Lügner zu entlarven. Musste seine kleine Sünde denn wirklich gleich bestraft werden? Aus den Augenwinkeln sah er, wie Markwart die Arme verschränkte und ein Gesicht machte, als sei er zufrieden, dass Walter endlich einmal bei einer Lüge ertappt wurde; er schien nicht zu verstehen, was das für Konsequenzen haben konnte.
»Das war es, werter Gevatter, was ich verstand. Ich glaube, er war wieder ein Kind und wie jeder Sterbende froh, in den Armen seiner Mutter …«
»Seine Mutter«, fiel nun auch die Frau des Bierbrauers ein, »war ein gewissenloses Weibsstück, das meinen armen Gatten allein mit drei kleinen Kindern ließ und mit einem Spielmann davonrannte. Zum Gespött der ganzen Stadt hat sie ihn auf Jahre hinaus gemacht, und genauso lange hat es gedauert, bis sein zartes Gemüt wieder in der Lage war, zu lieben!« Sie kniff die Augen zusammen und schaute auf Hildegunde und die Instrumente, die an ihrem Sattel hingen. »Einem Spielmann wie Euch.«
»Ich bin Sänger und Ritter«, sagte Walther hastig. »Und gewiss hat Gerhard an Euch«, er machte eine Verbeugung vor der Bierbrauergattin, »als seine wahre Mutter gedacht?« Wenn er sich die Frau allerdings näher anschaute, so war sie höchstens zehn Jahre älter als der tote Gerhard, was bedeutete, dass sie noch nicht lange die Ehefrau des Bierbrauers sein konnte. Zu allem Überfluss färbten sich nun ihre Wangen zartrosa.
»Oh, Gerhard!«, rief sie und brach erneut in Tränen aus. »Mein Gerhard!«
»Ihr habt euch doch kaum guten Morgen und guten Abend gewünscht«, sagte der Bierbrauer misstrauisch, dann wandte er sich an Walther. »Warum fehlen meinem Jungen die Stiefel, wenn er in
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