Das Spiel der Nachtigall
Handwerker oder freier Bauer leisten konnte. Der Gestank von Blut, Schweiß und Urin hing schwer in der Luft, aber noch nicht der süßliche Geruch von verwesendem Fleisch; so lange konnte das Scharmützel also nicht her sein. Trotzdem waren einige Augen bereits den Raben zum Opfer gefallen, und er blickte oft in leere Augenhöhlen. Walther erinnerte sich an die Pilger auf der italienischen Landstraße und fragte sich, warum er nur noch ein schwächeres, taubes Echo seines Zornes von damals fühlte. Vielleicht, weil es Kriegsknechte waren, die wenigstens Waffen in den Händen gehalten hatten? Trotzdem fragte er sich, wie viele von ihnen überhaupt in der Lage gewesen waren, Welfe oder Staufer zu buchstabieren, und ob es für sie einen Unterschied machte, wem sie ihre Abgaben zahlten und für wen sie starben.
Zuerst erschien es unmöglich, zwischen Kölnern und ihren Gegnern zu unterscheiden. Dann kam Walther zu dem Schluss, dass die Kölner einen kürzeren Weg hinter sich und daher weniger abgewetzte Beinlinge hatten.
»He, ich habe den zuerst gesehen!«, rief ihm einer der Leichenschänder zu, als Walther das Bein eines Toten anhob, dessen Stiefel aus feinerem Leder gemacht zu sein schienen als die der meisten anderen Toten. Er trug auch noch seinen Kalottenhelm, und als Walther unter den Platen griff, konnte er spüren, dass der Tote ein vollständiges Untergewand anhatte und darunter ein Hemd. Um den Hals trug er ein Medaillon, das die heilige Ursula zeigte, die Schutzheilige von Köln. Was Tote betraf, die aus einer besseren Kölner Familie stammten, so war dieser wohl die erste Wahl.
»Ich habe gesagt, das sind meine Stiefel!«, zischte der Fledderer, der über das Feld zu Walther gerannt war. Aus der Nähe betrachtet, stellte er sich als Mann um die dreißig heraus, dem fast alle Zähne fehlten, der dafür aber einen Spieß und eine Streitaxt mit sich führte und bunt zusammengewürfelte Sachen trug, die alle zusammengestohlen sein mussten.
»Hätte er mir sagen können, dass er sie dir versprochen hat.«
»Eh?«, gab der Leichenräuber zurück.
»Die Stiefel. Wer bin ich, um den Letzten Willen eines Mannes nicht zu respektieren? Als wir gestern unseren Schweinebraten verzehrten, da sagte Hugo zu mir, Walther, mein guter Freund, was mein ist, soll auch dein sein, bis auf meine Frau, versteht sich, und …«
»Hör auf, Blödsinn zu schwafeln«, sagte der Leichenfledderer unwirsch. »Der Kerl war viel zu geizig, um was zu teilen. Das ist Gerhard, der Sohn vom Bierbrauer. Verheiratet war er auch nicht, aber gute Stiefel hat er, und die gehören jetzt mir – glaub nicht, dass ich den Weg von Köln hierher gemacht habe, um sie dir zu überlassen!«
»Wie du wünschst«, sagte Walther mit einer Verbeugung. Er wartete, bis der Mann mit den Stiefeln und nach einem misstrauischen Blick auf Walther und Markwart zu den nächsten Leichen weitergelaufen war.
»Das hätte ins Auge gehen können«, sagte Markwart mürrisch.
»Glaubst du, mir macht das Spaß? Ganz im Gegenteil. Aber das Treffen mit dem Kerl war ein ausgesprochener Glücksfall. Markwart, hilf mir, Gerhard seiner Familie zurückzugeben.«
Die große Stadtmauer um Köln mit dem riesigen Turmbau am Eigelsteintor erschien ihnen die großartigste und gewaltigste zu sein, die auf Erden stand, obwohl die Befestigungen von Wien auch nicht zu verachten waren; aber Köln galt mit seinen fast vierzigtausend Bewohnern auch als größte Stadt im Deutschen Reich. Was Walther Sorgen machte, waren die zahlreichen Wachen, von denen einige zu unterschiedlich gekleidet waren, um Kölner Stadtwächter zu sein. Außerdem trugen zwei von ihnen das welfische Wappen über dem Kettenhemd.
»Walther«, murmelte Markwart, während sie näher ritten, beide auf Hildegunde, während die Leiche des unglückseligen Gerhard auf Markwarts Pferd festgeschnürt war, »ist das nicht das Wappen des Grafen von Poitou?«
»Vergiss nicht, solange wir uns in Köln aufhalten, ist es das Wappen des deutschen Königs«, sagte Walther grimmig.
Wie er vorausgesehen hatte, wollten die Stadtwachen zuerst wissen, warum ein Minnesänger ausgerechnet jetzt Köln besuchen wollte, und wo er herkam, nicht warum er eine Leiche mitbrachte.
»Steht die große Stadt Köln nicht allen offen, die ihr Glück suchen? Und mein Patron, der Landgraf von Thüringen, durchlebt gerade harte Zeiten.«
»Das tun alle«, sagte der Wachposten ungnädig, doch die Nennung des Landgrafen entspannte ihn etwas; Hermann
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