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Das Spiel der Nachtigall

Das Spiel der Nachtigall

Titel: Das Spiel der Nachtigall Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tanja Kinkel
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damit in den Ohren gelegen, dass Irene so allein sei. Da fühlte sie sich verantwortlich und hat die Stadt verlassen, um dieser Fürstin beizustehen, die nichts Besseres zu tun hatte, als meine Nichte als Spitzel zu missbrauchen und dann jede Verantwortung für sie zu leugnen! Verdammt, es ist Eure Pflicht und Schuldigkeit, jetzt nach ihr zu suchen.«
    Er war leidenschaftlich, heftig und überzeugend, ein besorgter Onkel, und Walther glaubte ihm, einen, zwei, drei Herzschläge lang, bis ihn eine warnende Stimme in seinem Verstand an etwas erinnerte, das an Stefans Geschichte falsch klang: Wäre Judith gegangen, um Irene beizustehen, dann wüsste Paul davon; es war kein Grund, den man verheimlichen musste, selbst in einer welfisch gesinnten Stadt wie Köln nicht.
    Es mochte durchaus sein, dass Judith die kleine Marie von Brabant behandelt hatte, und sogar im Auftrag der Staufer. Wenn Stefan ihm das erzählte, musste es einen Grund haben. Er wollte Walther gegen die Staufer wenden, nicht nur mit Gold, sondern auch mit seinen Gefühlen, so viel war klar. Er wollte einen Spitzel an Philipps Hof; Walthers ständiges Fragen nach Judith hatte ihm gewiss den Eindruck verschafft, dass ihm mehr an ihr gelegen war, als es sich für eine flüchtige Bekanntschaft ziemte.
    Die besten Lügen, dachte Walther, der sich selbst in dieser Beziehung auskannte, sind solche, die zum größten Teil der Wahrheit entsprechen, nur eben aus einem anderen Blickwinkel.
    Leider beruhigte ihn nichts an diesen Überlegungen. Ottos Hochzeitsabsichten hinsichtlich der Tochter des Brabanters hatten sich im letzten Jahr überall im Reich herumgesprochen, und sollte Judith sich in der Nähe der kleinen Marie befunden haben, dann war es in der Tat wahrscheinlich, dass Otto einen Sündenbock wollte und irgendwann auch fand. Was Philipp betraf, so bezweifelte Walther, dass der Staufer Judith als Gefangene auslösen würde. Er würde ihr einen Platz an seinem Hof geben, um seiner Gemahlin einen Gefallen zu erweisen, aber wenn ihm Otto eine Botschaft zukommen ließ, er habe eine jüdische Ärztin als seine Gefangene, dann würde Philipp wohl so tun, als habe er noch nie von Judith gehört. Geiseln waren nur wertvoll, wenn sie zur Familie eines Fürsten zählten. Ja, auch dieser Teil von Stefans Behauptungen klang wahrscheinlich genug … bis man bedachte, dass Judiths Verwandtschaft mit Stefan kein Geheimnis war, schon gar nicht für den Mann, der in Chinon ihre Ehe gestiftet hatte. Sollte ein grollender Otto sich daher für die Hinauszögerung seiner Ehe durch eine Gefangennahme und ein Goldpflaster rächen wollen, dann wäre Stefan und kein anderer der Allererste, der davon erfahren hätte.
    Nichts davon drang über Walthers Lippen. Sollte Stefan glauben, dass er ihm jedes Wort abnahm. Den Kaufmann der Lüge zu bezichtigen oder gar zur Rede zu stellen, hatte sich auf der Straße als fruchtlos erwiesen und würde hier bestenfalls dazu führen, dass Walther hinausgeworfen wurde. So zu tun, als habe ihn Stefan überzeugt, würde ihm dagegen wenigstens die Möglichkeit geben, herauszufinden, ob Stefan mehr als nur eine allgemeine Anwerbung im Sinn hatte, und vielleicht auch, was wirklich mit Judith geschehen war. Also schluckte Walther, schlug die Augen nieder, verzichtete im letzten Moment darauf, die Hände zu ringen, weil er Stefan nicht durch Übertreibung misstrauisch machen wollte, und sagte: »Aber wo? Wo soll ich suchen? In Brüssel?«
    »Das wäre sinnlos«, warf Constantin rasch ein. »Wir haben … Freunde am herzoglichen Hof. Wenn sich die Magistra noch dort befände, dann wüssten wir davon.«
    »Da König Otto derzeit in Eurer eigenen Stadt residiert«, sagte Walther harsch, »nehme ich an, dass Ihr auch einen Freund in seiner Umgebung habt, der sich dort bereits nach der Magistra umgesehen hat.«
    »Ich habe Euch gesagt, dass ich nie Zeit verschwende«, gab Stefan zurück. »Verschwendet also auch nicht die meine. Ihr wisst, wo Ihr zuerst suchen müsst: bei Philipp. Er wird wenigstens wissen, was er Jutta aufgetragen hat und wann er das letzte Mal von ihr oder über sie hörte.«
    Gut möglich, dachte Walther, aber warum bin ich mir nur sicher, dass Ihr von mir Erkundigungen nach mehr als Eurer Nichte wollt? Laut sagte er: »Um ganz offen zu sein, wenn König Philipp mich das nächste Mal empfängt, wird er vor allem etwas von mir hören wollen, nämlich darüber, was die Kaufleute von Köln veranlassen könnte, ihre Unterstützung des Welfen

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