Das Spiel der Nachtigall
falsche Nachrichten zu vermitteln. Egal was passierte, es würde ihm nutzen, nicht ihnen. »Das sind wir«, wiederholte er, »wenn Ihr mir die Gelegenheit verschafft, vor dem Erzbischof zu singen.«
Zum zweiten Mal an diesem Tag hatte er die Genugtuung, Stefan verblüfft zu erleben.
»Ist das ein Scherz?«, fragte Constantin aufrichtig neugierig.
»Nun, Meister Constantin, Meister Stefan, ich kann nicht mit leeren Händen zu den Staufern zurückgehen und erwarten, lange genug am Hof zu bleiben, um etwas über die Magistra herauszufinden, geschweige denn, mehrere edle Herren davon zu überzeugen, dass ihr Leben mit Eurer Unterstützung etwas leichter werden wird. Wenn ich aber glaubwürdig den Hof des Erzbischofs beschreiben kann, dann wird man sehen, dass ich hier nicht meine Zeit verschwendet habe.«
»Nun, der Erzbischof bittet die Domherren regelmäßig zu Tisch, da könnte man …«
»Wunderbar! Ich danke Euch.«
»Herr Walther«, sagte Stefan langsam, »ist das wirklich Euer einziger Grund, um beim Erzbischof vorgestellt zu werden?«
Walther machte ein steinernes Gesicht. »Nein.«
»Welchen anderen Grund gibt es?«
»Ich weiß nicht, warum ich das immer wiederholen muss«, sagte Walther, »aber ich bin ein fahrender Ritter und Sänger. Der Erzbischof von Köln ist auch der Herzog vom Rhein, einer der großen Herren des Reiches. Nichts für ungut, aber ganz gleich, wer der letzte König auf dem Schachbrett sein wird, ein Erzbischof bleibt ein Erzbischof.«
* * *
»Kehlstück, Kopf, Milz und Lunge – und davon auch noch wenig«, schimpfte Markwart. »Etwas anderes gab es nicht. Dabei habe ich mich hier auf einen Ranzenspanner gefreut!«
Wie sich herausstellte, hatte er an der Armenspeisung teilgenommen, weil sie neben Constantins Haus stattfand. »Das gab mir schließlich eine Entschuldigung, dort herumzulungern«, sagte er, doch Walther vermutete, dass ihn schlicht und einfach der Hunger geplagt hatte.
»Die erzbischöfliche Küche morgen ist bestimmt besser«, sagte er aufmunternd. Zum Glück hatte er zwei Lauten dabei und verbrachte den Rest der Nacht damit, Markwart die Grundgriffe beizubringen, aber auch, wie er nur so tat, als ob er spiele. Auf diese Weise konnte er Markwart zu seinem Spielmann erklären, statt ihn noch einmal zurücklassen zu müssen, und sich sicherer fühlen. Die Lektionen fanden in einem Stall statt, weil Walther die Gastfreundschaft von Constantin und Stefan dankend abgelehnt hatte und in Schenken und Spitälern sonst kein Platz mehr war, weil so viele Menschen aus dem Kölner Umland in die Stadt geflohen waren.
»Ganz wie in alten Zeiten, wie? Und ich dachte, du wärest inzwischen ein großer Herr.« Markwart seufzte, als er sich ins Stroh fallen ließ. »Also, um ein Mädchen geht es? Himmelherrgott, das hättest du mir doch gleich sagen können.« Walther hatte behauptet, Stefan wolle nur herausfinden, was mit seiner Nichte geschehen sei, und habe ihm dafür das Spielen vor dem Erzbischof ermöglicht; von dem Verrat, um den es vor allem ging, musste Markwart nichts wissen.
»Sie ist verheiratet«, sagte Walther.
»Auf mein Schweigen ist Verlass!«, schwor Markwart, erkennbar an den Grund für seine eigene Flucht aus ihrem Heimatort denkend. Seine Worte brachten Walther zu Bewusstsein, dass er sich nicht so sehr von Stefan unterschied; er benutzte ebenfalls die Wahrheit, um jemanden anzulügen.
Adolf von Altena und seine Domherren tafelten in einem Stil, der sich mit dem Hof von Wien oder Hagenau mehr als vergleichen ließ. Kein Wunder, dass er den Kirchenschatz hatte verpfänden müssen und so sehr auf seine Kaufleute angewiesen war. Als Hauptgang wurde ein Pfau aufgetischt, ein Vogel, den Walther noch nie im Leben gesehen hatte, ganz gleich, ob lebendig oder tot, und trotz allen anderen Dingen, die ihm durch den Kopf gingen, starrte er auf die bunten, schillernden Federn, die man dem Tier vor dem Braten ausgerupft und dann wieder angesteckt haben musste. Wenn man die Macht besaß, solche Tiere aus weiter Ferne herbeischaffen zu lassen, warum sie dann schlachten, wenn man gleich vor der Haustür Fasane bekommen konnte, die bestimmt genauso schmackhaft waren? Daneben hatte man noch die Auswahl zwischen einem gesottenen Aal mit Pfeffer, gesalzenem Hecht mit Petersilie und einer Ente mit roten Rüben. Mit der Vielzahl dieser Gänge wollte der Erzbischof natürlich zeigen, wer der höchste Fürst unter den Fürsten des Landes war; der Pfau hingegen sollte ihm wohl das
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