Das Spiel der Nachtigall
Herrschern unterdrückt wird, und er ist so jung, dass wir ihn noch viele Jahre haben werden.«
Es kostete Walther einiges an Selbstbeherrschung, aber er sagte nichts dazu. Stattdessen brachte er das Gespräch wieder auf Hans von Brabant. »Ich habe gehört, der Herzog von Brabant habe an seinem Hof eine Ärztin aus Köln«, sagte er beiläufig. »Da wird er der Stadt doch wohl gewogen sein.«
Der Domherr neben ihm prustete in seinen Bierkrug. »Da habe ich anderes gehört.«
»Ich auch«, stimmte der Domherr ihm gegenüber zu. »Mir hat der Schreiber des Erzbischofs erzählt, dass Otto unsern Herrn beschuldigt hat, eine Hexe nach Brabant geschickt zu haben, um seine Ehe zu verhindern. Gerade noch, dass unser Adolf ihn beruhigen und schwören konnte, nichts mit der Frau zu tun zu haben, nur weil sie aus seiner Diözese stammt.«
»Mein Vetter hatte an dem Tag bei unserm Herrn Erzbischof Dienst«, sagte Walthers Nebenmann, »und ich sage Euch, Otto war außer sich. Er wollte nicht glauben, dass Herr Adolf nichts von der Angelegenheit wusste. Ihr habt mir die Hure schon nach Chinon geschickt, hat er gebrüllt, zusammen mit ihrem Geldsack von Onkel, und jetzt fallt Ihr mir so in den Rücken? «
Lass dir nichts anmerken, befahl sich Walther, lass dir nichts anmerken. Er verschränkte seine Finger ineinander; seine Knöchel wurden weiß. »So grob hat er sich ausgedrückt? Was hat unser hochwürdigster Erzbischof darauf gesagt?«
»Was sollte er sagen? Zugeben, dass er von nichts wusste, wie üblich? Das hätte nur wieder gezeigt, dass unsere Pfeffersäcke ihm auf der Nase herumtanzen. Nein, er hat gesagt, er wäre selbst ein Opfer, sie hätte ihn bereits einmal fast vergiftet, ehe er sie aus der Stadt verbannt habe. Wenn sie sich je wieder in Köln blicken lässt, das hat er Herrn Otto geschworen, dann wird sie für ihre Taten büßen.«
»Wenn sie es nicht schon tut«, sagte Walthers Gegenüber bedeutungsvoll. »Meint Ihr wirklich, dass Herr Otto sich mit einem bloßen Versprechen zufriedengegeben hat, so wütend, wie er war?«
Adolfs Haushofmeister kam zu Walther und sagte, nun sei dem hochwürdigen Erzbischof ein Vortrag recht. Er hatte ursprünglich geplant, eines seiner harmloseren Lieder zu singen, um noch etwas länger bleiben und mehr erfahren zu können; aber nach dem, was er gerade gehört hatte, schwebte Judith in höchster Gefahr. Außerdem ritt ihn jetzt der Teufel.
Walther sah sie an, diesen selbstzufriedenen Haufen gut gefütterter Schoßhunde, die in ihrem Leben nur um ein Stück mehr vom Braten bangten, nicht weniger, und die sich nie sorgen mussten, ob überhaupt Brot auf den Tisch kam. Aber sie ließen ihren Bauern gerade mal Rüben und Kraut zum Überleben und überlegten sogar ganz offen, wie man sie bestmöglich auch noch um ihren letzten Besitz bringen konnte. Von Seelsorge, von Trost in der Not hatte nicht einer von ihnen gesprochen und bestimmt auch niemand gedacht. Keiner von diesen Männern würde je in die Verlegenheit geraten, selbst für einen König oder ihre eigene Stadt kämpfen zu müssen. Keiner von ihnen würde je von Otto als Opfer zur Besänftigung seines Zornes gefordert werden. Keiner von ihnen erweckte den Eindruck, sich um andere als ihre Neffen, Vettern und Brüder zu sorgen, um so ihre eigene Machtbasis auszubauen, anstatt darum, dass der Kampf zwischen Otto und Philipp den ihnen Schutzanempfohlenen Tod und Leid bringen musste.
Er dachte an Martins qualvollen Tod in Rom, der nicht durch Güte oder Gnade erleichtert worden war, und daran, wie die Domherren gerade die Stärke des neuen Papstes gepriesen hatten. Er dachte an Judith, und wie sie sich gegenseitig an den Kopf geworfen hatten, davonzulaufen. Es geht ihr gut, sagte er sich. Wo sie auch ist, geht es ihr gut. Ich werde sie finden, und diesmal werde ich mich nicht hinter Scherzen verstecken, nicht hinter Liedern, nicht hinter Wortgefechten.
»Mach dich bereit, den Saal zu verlassen«, flüsterte er Markwart, der hinter ihm stand, ins Ohr. »Wenn ich fertig bin, werden sie mich nicht länger hören wollen.«
»Was habt Ihr für uns, Herr Walther von den Vögeln?«, fragte Adolf wohlwollend. Sein Gesicht glänzte vor Schweißperlen. Es war warm für einen Septembertag; vielleicht lag ihm auch das Fleisch des Pfauen nicht leicht im Magen. »Ein Sommerlied? Ein Herbstlied? Ein Tagelied?«
»Ein Lied über uns alle«, sagte Walther.
Geheim konnt’ ich durchschauen
Die Männer und die Frauen,
Dass ich es hörte
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