Das Spiel der Nachtigall
Heinz von Kalden zu achten, die Augen unbeirrt auf Philipp geheftet. Es dauerte einen Moment, dann wusste dieser, von wem die Rede sein musste. Er verstand nur nicht, warum Walther seine Feststellung wie einen Vorwurf aussprach.
»Wisst Ihr, wo die Magistra Jutta sich jetzt befindet?«, fragte Walther drängend, und Philipp entschied, dass der Tonfall nun wirklich zu weit ging. Überdies begann er, sich zu fragen, warum Walther das eigentlich wissen wollte. Soweit ihm bekannt war, gab es keine Verbindung zwischen ihm und Irenes Magistra. Mehr noch, Walther war nie das gewesen, was man einen überzeugten Anhänger des Hauses Hohenstaufen nennen konnte. In einem seiner Lieder hatte er gar von Fürsten gesprochen, deren Kronen als Verzierung ihrer Häupter nur davon ablenken sollte, dass darunter kein Kopf war, auch wenn er offenließ, auf wen das zielte. Der Mann hatte einfach vor nichts Respekt! Und nun war er mit recht vagen Auskünften und äußerst merkwürdigen Vorschlägen aus Köln zurückgekehrt, gerade zu einem Zeitpunkt, an dem das Glück sich gegen die Staufer wandte.
Vielleicht war es gar nicht Walther, der mehr über die Magistra wissen wollte? Vielleicht war es Erzbischof Adolf, vielleicht waren es die Kölner Kaufleute? Vielleicht war Walther auch nur ein gewöhnlicher Spitzel und hatte dieselben Ratschläge in Köln verkauft? Vielleicht kam er sogar von Otto?
»Herr Walther«, sagte er kühl, »Ihr könnt gehen.«
»Aber …«
»Seine Gnaden, der König«, sagte Heinz von Kalden, »hat genug von Euch gehört. Es gibt andere Botschaften, die wichtiger sind, Herr Walther.«
* * *
Irenes Tochter hatte nicht nur eine Amme, sondern auch mehrere Mägde und würde, wenn sie ihre frühe Kindheit überleben sollte, in die Obhut eines verdienten Lehnsmannes und seiner Familie gegeben werden, bis sie heiratsfähig wurde. So war es für die Töchter von Herrschern üblich, das wusste Irene sehr gut. Aber obwohl sie sich sagte, dass Beatrix sie nicht brauchte, verbrachte sie trotzdem so viel Zeit wie möglich mit der Kleinen. Ihre Mutter hatte ihr eingeschärft, ihr Herz nie an Kinder zu hängen, ehe sie nicht mindestens drei Jahre alt waren; erst dann konnte man vergleichsweise sicher sein, dass sie nicht wie so viele Säuglinge sterben würden. Aber Beatrix war ihre Tochter, ein Stück von ihr selbst. Gegen ihre Erwartung hatte Irene Gefallen an ihrer Ehe mit Philipp gefunden, doch so etwas wie die Liebe, die sie gepackt hatte, als sie Beatrix zum ersten Mal in den Armen hielt, dieses Gefühl, das wie ein Gebirgsbach im Frühjahr alles andere überschwemmte und fortriss, so etwas hatte sie noch nie erlebt. Sie konnte das Einatmen und Ausatmen des Mädchens spüren, als wäre es ihr eigener Körper.
»Ihr Sänger irrt euch«, sagte sie zu Walther von der Vogelweide, als er ihr gemeldet wurde und sie bei ihrer Tochter fand. »Die Liebe zwischen Mann und Frau ist nichts im Vergleich zu der zwischen Eltern und Kindern.«
»Und doch gibt es Eltern, die ihre Kinder aussetzen«, sagte er, »und Kinder, die ihre Eltern verlassen und nie zurückblicken.«
Es war wohl eine allgemeine Beobachtung und Bemerkung, doch Irene fühlte sich dadurch getroffen. Mit so ungeschickten Worten war er noch nie bei ihr eingetreten. Sie dachte an ihren Vater, der nun schon seit Jahren blind in der Gefangenschaft ihres Onkels dahinvegetierte. Vielleicht hoffte er verzweifelt darauf, dass sie seine Rettung in die Wege leitete? Gewiss, sie hatte ihn in ihrer Kindheit selten gesehen, doch auch Beatrix würde wohl eines Tages mehr Erinnerungen an ihre Amme und die Mägde als an ihre Eltern haben, aber jetzt, da Irene selbst Mutter war, bezweifelte sie nicht mehr, dass ihr Vater sie liebte.
Der unbetrauerte Schwager Heinrich hatte Pläne gehabt, ihre byzantinische Herkunft für seine Zwecke zu benutzen. Vielleicht ließen sich diese beleben? Philipp war bereits König. Er würde auch Kaiser werden, Otto hin, Otto her; für den deutschen König und weströmischen Kaiser musste es möglich sein, ihrem Vater und ihrem Bruder zu helfen. Bischof Wolfger hatte sich seinerzeit bereit erklärt, einen Brief für sie zu überbringen, und wohl nicht aus reiner Menschenfreundlichkeit. Was ihm damals nützlich schien, mochte auch jetzt noch als hilfreich gelten. Auch ein verspäteter Brief sollte ihrem Vater helfen können.
So sehr war Irene in Gedanken bei ihrem Vater, dass ihr fast Walthers Frage entgangen wäre. Er wiederholte sie; erst jetzt
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