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Das Spiel der Nachtigall

Das Spiel der Nachtigall

Titel: Das Spiel der Nachtigall Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tanja Kinkel
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überrascht: Maria drehte sich um, schlug die Röcke hoch und zeigte ihren Hintern, als sei es für sie das Selbstverständlichste von der Welt. Judith erkannte rund um den Schließmuskel Pusteln, Entzündungen und sogar Furunkel, die sicher unangenehm waren, bei den meisten Menschen aber dazu geführt hätten, nicht darüber zu reden und zu hoffen, alles ginge alleine vorüber. Sie hatte eine derartige Häufung auch nur bei einer Fischerin in Salerno gesehen, die täglich lange bis zur Hüfte im Wasser gestanden hatte. Um die Ursache für diese Entzündungen zu erfahren, wollte Judith wissen, ob ihre Besucherin vielleicht zu häufig bade, was ungewöhnlich wäre; viele Menschen, die zu ihr kamen, besaßen nicht einmal einen Zuber.
    »Was versteht Ihr unter zu häufig?«, wollte Maria wissen, als sie sich Judith gegenüber auf einem Schemel niederließ.
    »Nun, ein Mal pro Woche sollte es bestimmt sein, wenn man stark geschwitzt hat, häufiger«, sagte sie gewohnheitsmäßig.
    »Nun, bei mir sind es bestimmt zehn Bäder pro Tag, und ich wüsste nicht, wie ich die reduzieren kann!«
    Dies ließ nur einen Gedanken zu, doch er war Judith mehr als unangenehm. »Ihr … nun, arbeitet Ihr … bei einem Bader? Sollte ich etwas falsch verstanden haben, bitte ich um Verzeihung«, fügte sie hastig hinzu, verlegen, weil Badehäuser nun einmal einen zweifelhaften Ruf hatten – für jedes, das nur dem Baden diente, gab es zwei, in denen auch andere Geschäfte getätigt wurden.
    »Ich arbeite nicht für einen Bader – mir gehört das Haus«, erklärte Maria freiheraus und musterte Judith. »Habt Ihr etwas dagegen? Soll ich gehen?«
    Nimm dich zusammen, befahl Judith sich. Es gibt keine Patienten, die keine Menschen sind, oder Menschen einer anderen Art. Du machst keine Unterschiede zwischen Kranken, gerade du nicht. Und weil dieser Gedanke gerade noch zur rechten Zeit gekommen war, konnte sie aus ehrlichem Herzen sagen: »Nein, entschuldigt, ich war nur etwas überrascht.«
    »Ich wollte nicht in dem in Braunschweig vorgeschriebenen gelben Kleid zu Euch kommen«, erklärte Maria. »Ich trage es nur, wenn es sinnvoll ist, und ich wollte Euch gegenüber Euren Nachbarn nicht in die Verlegenheit bringen, gefragt zu werden, was eine wie ich von Euch gewollt hat.« Das klang so selbstverständlich, als ob ihr Gegenüber sich mit ihr über nichts anderes als das Backen von Brot unterhielt. Nun, auch sie war in der Lage, unverblümte Beobachtungen zu machen.
    »Ich bin nur erstaunt, weil Ihr erwähnt habt, dass Euch das Haus gehört. Also zwingt Euch nicht Armut zu Eurem Gewerbe?«, fragte Judith. Es fiel ihr schwer, sich vorzustellen, dass eine Frau wie Maria als Badehure tätig sein wollte.
    »Mir scheint, Ihr wisst nicht sehr viel über das Leben, Kindchen.«
    Judith war sehr lange nicht mehr so angesprochen worden, und sie merkte, wie sie zornig wurde, aber das war etwas, was sich für einen Arzt nicht schickte. Also sagte sie nichts dazu, obwohl sie meinte, mehr als die meisten Menschen über das Leben zu wissen, und fragte stattdessen: »Wie meint Ihr das?«
    »Gäbe es die Städte nicht, gäbe es uns Huren nicht. Vergesst nicht, früher waren alle Frauen unfrei, den Männern hilflos ausgeliefert. Jetzt können wir erben, können ein Gewerbe ausführen, können sogar ein Hurenhaus leiten. Glaubt mir, keine Stadt kommt heutzutage mehr ohne Huren aus. Wir sind genauso wichtig wie Bäcker, Schmiede, Metzger oder Schneider. Wenn unserem Herrn Gesandtschaften gemeldet sind, schickt der Stadtrat uns den Besuchern entgegen, als Willkommensgruß Braunschweigs. Der Lohn kommt dann auch von der Stadt, nicht von den Gästen. Unsere Kunden sind Kriegsknechte, ja, aber auch Bürgermeister, Handwerker, Priester, sogar Mönche. Doch die meisten sind Ehemänner, die zu Hause nicht das bekommen, was sie wollen, und so von ihren Ehefrauen fast zu uns geschickt werden«, fügte sie mit einem Schmunzeln hinzu.
    Maria konnte nicht wissen, dass Judiths Ehe nur dem Namen nach bestand; trotzdem fühlte sie sich berufen, Partei zu ergreifen: »Kaum eine Frau kann und wird sich weigern, ihren ehelichen Pflichten nachzukommen. Das ist einer der Gründe dafür, verprügelt oder gar verstoßen zu werden.«
    »Haben Euch Eure Lehrer nie gesagt, dass Pflichten, die nicht gerne getan werden, selten gut erfüllt werden?«, fragte Maria herausfordernd. »Die meisten Männer wollen nicht, dass eine Frau nur ihre Pflicht erfüllt – was er dabei bekommt, kann

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