Das Spiel der Nachtigall
persönlich werden, aber wenn eine Frau nicht gelernt hat, sich selbst Vergnügen zu bereiten, kann sie auch ihre Pflicht ihrem Ehemann gegenüber nicht erfüllen … nicht erfüllen wollen. Hat man Euch in Salerno nicht gelehrt, dass Hände zum Entdecken da sind? Warum also nicht zuerst den eigenen Körper entdecken, damit diese Erkenntnisse von Nutzen sind? Eine Frau muss wissen, was ihr wo und wie guttut, und ein vernünftiger Ehemann wird sich darüber freuen!« Sie strich sich spielerisch über den Hals. »Jede Frau hat Stellen an ihrem Körper, die gestreichelt, verwöhnt werden wollen, die sie erregen. Manche Frau hier, manche woanders. Manche brauchen mehr, manche weniger Zeit. Magistra, Ihr … verzeiht, Frauen müssen diese Bereiche kennen oder finden, um so ihr Vergnügen zu entfalten. Jede von uns wird über ihrer Pforte eine Perle finden, die ihr absolut sicher hilft, Lust zu spüren, auch wenn ihr Mann es noch nicht verstanden hat. Und was kann es Schöneres geben, für beide, Mann und Frau?«
Obwohl Maria wirklich überzeugt schien, wollte – nein, konnte Judith nicht darauf eingehen und griff nach dem ersten Argument, das ihr die Aussage unlogisch erscheinen ließ. »Hätte ich das meinen Patientinnen sagen sollen, die vergewaltigt zu mir kamen, denen Gewalt angetan worden war an Körper und Seele?«
»Für die Seele bin ich nicht zuständig, dafür sind die Pfaffen verantwortlich, oder die Familie und die Freunde. Für den Körper seid wiederum Ihr gefragt, zunächst jedenfalls. Aber nach der Gewalt kommt auch immer wieder das Leben, und darauf gilt es vorbereitet zu sein.« Dann wechselte Maria das Thema. »Doch weil wir gerade wieder beim Körper angelangt sind: Was ist zu tun, um mein Problem loszuwerden? Es hemmt meine Möglichkeiten … Ihr versteht?«
Judith verstand zwar nicht, wie Maria das meinte, war aber Ärztin genug, um die Hilfe für eine Patientin über die Befriedigung ihrer Neugier zu stellen.
»Die fortwährende Feuchtigkeit schadet Euch und führt zu diesen Entzündungen. Ihr müsst Euch nach dem Bade besser abtrocknen, gerade um den betroffenen Bereich. Ich werde Euch noch eine Salbe aus Kamille und Mineralien geben; die tragt täglich mehrmals auf, und Ihr werdet dort bald wie neugeboren sein, zumal Ihr diesen Teil nicht so dringend braucht für Euer Geschäft!«
Sie war froh, schon wieder etwas scherzen zu können, und nicht gefasst auf das, was sie als Antwort bekam. »Nun, der hintere Eingang ist ein sicherer Eingang, wie sollte ich ihn da nicht genauso dringend benötigen?«
Judith wurde feuerrot und stotterte: »Aber das … das ist doch nur der Weg zwischen Männern, nicht bei Frauen.«
»Man sollte meinen, Ihr hättet in Salerno etwas über den sicheren Eingang erfahren. Es wäre ein gutes Werk, dies mancher verlassenen Ehefrau, manchem jungen Mädchen und mancher Rittersfrau, deren Mann auf dem Kreuzzug ist, zu verraten, weil sie es sich nicht leisten können, schwanger zu werden.« Maria lachte. »Es scheint, als könnten wir beide viel voneinander lernen.«
Als ihre neue Patientin schließlich ging, war Judith nicht sicher, ob sie eine weitere Begegnung mit Maria fürchtete – oder sich trotz der Welt, die sich ihr unerwartet eröffnet hatte, wünschen sollte.
Mit Ausnahme von Maria, die nur auf ihrer eigenen Seite zu stehen schien, waren alle Patienten, die zu Judith kamen, voll und ganz für Otto. Zwar hatten ihn die wenigsten je mit eigenen Augen erblickt, doch sein Vater war allen immer noch als »der gute Herzog« in Erinnerung. Niemand hatte vergessen, wie Braunschweig an Bedeutung verlor, als Barbarossa das Herzogtum Heinrichs des Löwen in zahlreiche kleinere Fürstentümer aufteilte. Außerdem war Ottos Geschichte fast wie die eines Helden aus einem Lied: der Fürstensohn, der in der Verbannung groß geworden war, zurück in die alte Heimat kehrte und dort endlich die Krone erhielt, die schon die seines Vaters hätte sein sollen. Wenn Judith danach fragte, ob denn die Krone nicht seinem älteren Bruder gebührt hätte, dann waren die meisten der Meinung, der verstorbene König Richard, bei dem die Brüder aufgewachsen waren, hätte gewiss am besten gewusst, wer einer Krone würdiger sei.
Dann trafen die ersten Nachrichten vom verwüsteten Straßburger und dem Kölner Umland ein. Judith sagte sich, dass das Gerücht gewiss übertrieb. Was nicht übertrieben aussah, war der Mann, der in einem der Gefechte seine linke Hand verloren hatte und zu ihr
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