Das Spiel der Nachtigall
kam, weil der Wundbrand ihn plagte und er dem Bader nicht traute. Es gelang Judith, den Mann und den Rest des Armes oberhalb seines Ellbogens zu retten, nachdem sie alles darunter entfernte und den Stumpf ausbrannte, so dass er ohne faulendes Fleisch verheilte. Karl war einer der Kriegsknechte des Pfalzgrafen, und während seiner Besuche erzählte er vom Krieg. Was er zu sagen hatte, unterschied sich nicht von den Geschichten, die Judith in Salerno von den Überlebenden gehört hatte; sie ertappte sich dabei, den Gedanken laut auszusprechen.
»Heinz von Kalden hat sein Handwerk unter dem Kaiser in Italien gelernt«, stimmte Karl zu, »und er befehligt nun Philipps Truppen. Aber keine Sorge. König Otto hat an Richards Seite gefochten, und der war der beste Krieger unseres Zeitalters, das sagen alle. Er weiß auch, wann er hart zu sein hat. Kennt Ihr die Geschichte, wie all die Gefangenen vor Akkon hingerichtet wurden, damit Saladin verhandelte?«
»Nein, aber ich möchte sie auch nicht hören.«
Was hatte sie erwartet – einen unblutigen Krieg? Judith sagte sich, dass sie dazu beitragen konnte, dass dieser so rasch wie möglich zu Ende ging. Ob sie dabei auf der richtigen Seite stand, war bisher eine Frage gewesen, die sie sich leicht beantwortet hatte: Otto hatte bei Richard Löwenherz gelebt, als dieser ein großes Massaker an Juden in York zuließ. Die Staufer dagegen hatten die Juden schon seit Jahrzehnten unter ihren Schutz gestellt. Dieser Schutz erschien ihr wichtig, auch wenn dafür beträchtliche Steuern gezahlt werden mussten. Zudem war Otto ein Mann, der Freude an der Furcht anderer und seiner Macht über sie hatte, und damit konnte er kein guter Herrscher sein. Philipp war ihr bei den wenigen Malen, die sie ihm begegnet war, als ein nachdenklicher, freundlicher Mann erschienen, und er war Irene ein guter Ehemann. Das machte es leicht, sich für ihn zu erwärmen.
Stefan hatte einmal zu ihr gesagt, dass die Tugenden eines Herrschers und die Tugenden eines Mannes in seinem Familienleben nicht unbedingt die gleichen waren. Damals hatte sie es nur für eine weitere seiner eigenen Selbstrechtfertigungen gehalten. Sie glaubte immer noch nicht, dass er recht hatte, zumal er ihrem Hinweis, ein Herrscher sei durch seine Macht bestimmt noch nie ein besserer Mensch geworden, nicht widersprochen hatte. Aber die Vorstellung, dass Philipp, was die Einstellung zum Krieg betraf, nicht besser als Otto sein mochte, machte ihr zu schaffen.
Endlich kam es zu dem Ereignis, auf das sie gewartet hatte: Die Pfalzgräfin schickte ihre Leute, um die Magistra Judith von Salerno zu sich zu bitten. Ihr kleiner Sohn, der noch keine zwei Jahre alt war, litt unter Pickeln, was harmlos war, zumal Judith ihr wiederholt versichern konnte, dass es sich nicht um die Masern handelte. »Kein Honig mehr«, ordnete sie an, »und seine Haut wird sich bessern. Ich kann Euch auch Salzumschläge bereiten.«
Schwerwiegender war, dass die Pfalzgräfin erneut schwanger war und bereits unter Blutungen litt, obwohl sie nach ihrer Rechnung erst drei Monate hinter sich hatte. »Meine letzte Geburt«, vertraute sie Judith an, »war sehr schmerzhaft und dauerte eineinhalb Tage lang.« Judith dachte an die Schriften Trotas, welche die Ansicht vertreten hatte, dass manche Frauen einfach nicht geeignet für Schwangerschaften waren und dass man ihnen einen Gefallen tue, wenn man ihnen half, nicht zu empfangen. Die Pfalzgräfin hatte ein sehr enges Becken; ihre Hautfarbe war fahl und ungesund.
»Ich weiß nicht, ob ich Euch helfen kann, Euer Kind zu behalten«, sagte sie ehrlich und versuchte mit aller Macht, den Wunsch zu unterdrücken, davonzulaufen. Agnes war nicht Richildis.
»Zu was seid Ihr dann gut?«, fragte die Pfalzgräfin bitter. »Zu was bin ich gut? Der einzige Grund, warum ich lebe, ist Kinder zu gebären. Ein Erbe für das Haus der Welfen genügt nicht.«
»Manchmal ist eine Fehlgeburt …«
»Verschwindet!«
Eine Woche lang hörte Judith nichts von der Pfalzgräfin. Dann ließ man sie erneut holen. Diesmal fand sie Agnes im Bett vor.
»Ihr habt mir die Wahrheit gesagt«, sagte die Pfalzgräfin. »Ich hatte eine Fehlgeburt.«
»Es tut mir leid.«
»Ich will, dass Ihr mich so schnell wie möglich gesund macht«, befahl Agnes fieberhaft, »damit ich wieder empfangen kann. Vielleicht merkt mein Gemahl es dann nicht.«
»Euer Gnaden, selbst wenn sich Euer Körper sofort wieder erholt, bezweifle ich, dass Ihr innerhalb der nächsten zwei
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