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Das Spiel der Nachtigall

Das Spiel der Nachtigall

Titel: Das Spiel der Nachtigall Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tanja Kinkel
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seine Hand genauso gut, oder besser. Aber wer gibt, der kriegt auch.«
    Judith war in eine Diskussion geraten, auf die sie nicht vorbereitet war und die sie hätte abbrechen müssen, weil sie sich für eine ehrbare Frau nicht schickte. Andererseits hatte Judith noch nie eine Frau erlebt, die so voller Selbstbewusstsein, ja Selbstsicherheit über etwas sprach, wovon sie überzeugt zu sein schien, auch wenn außerhalb ihrer Welt ganz anders darüber geredet wurde. Konnte Judith das Thema abbrechen, nur um sich hinter ihrer eigenen Voreingenommenheit zu verstecken? Durfte sie das überhaupt? Nichts war Studenten in Salerno mehr übelgenommen worden, als einem Disput auszuweichen oder die Gelegenheit verstreichen zu lassen, neues Wissen zu erlangen; alles andere galt als Schwäche.
    »Ich weiß, dass jede Tätigkeit schneller von der Hand geht, wenn sie gerne getan wird«, antwortete sie. »Aber Ihr wollt mir doch nicht ernsthaft einreden, dass jeder Mann, der bezahlt, einer Hure angenehm ist! Wenn eine Ehefrau das Unglück hat, an einen Mann verheiratet worden zu sein, den sie nicht liebt, nun, so muss sie ihn aushalten, aber eben nur diesen einen. Ihr dagegen habt gerade von zehn Bädern pro Tag gesprochen. Bei dreihundertsechzig Tagen im Jahr sind das eine Menge Männer. Darunter müssen allein der Wahrscheinlichkeit nach auch viele sein, die Euch widerwärtig sind, und bei Dirnen, die nicht mit Eurer Schönheit gesegnet sind und daher noch weniger wählerisch bei ihren Kunden sein können, sind es gewiss noch mehr.« Sie sah Maria offen an. »Ist das etwa besser, als unfrei und Leibeigene zu sein?«
    Die schweigende Pause ließ erkennen, dass es sich ihre Besucherin nicht leichtmachte, hierzu eine Antwort zu finden.
    »Ihr habt recht, die meisten von uns treibt eine Notlage in unser Gewerbe. Ich wüsste auch von keiner, die nicht von Vater, Bruder, Bauer, Großknecht oder Verwalter vorher vergewaltigt worden ist. Nicht einmal, sondern ständig. Aber glaubt Ihr wirklich, unsere Frauen wären, was das betrifft, Ausnahmen? Jeder zweiten Frau in dieser Stadt ist das widerfahren, wenn es nicht mehr sind. Keine konnte ihre Familie, den Hof, die Stelle verlassen oder den Mann mit der Hoffnung auf Gerechtigkeit anzeigen. Je besser die Frauen aussehen, je größer ist die Gefahr für sie. Sie tun bei mir also nichts, was sie nicht anderswo jeden Tag auch tun müssten, dort aber umsonst und meist mit Gewalt verbunden. Und was ist falsch daran, es in einer Umgebung zu tun, wo es fröhlich zugeht, wo gelacht wird, wo es keinen Hunger gibt und nicht vierzehn Stunden Arbeit am Tag, sieben Tage in der Woche? Da, wo es keine Ehemänner gibt, die ihre Frauen züchtigen dürfen, wann und wie oft sie wollen, und wo der Lohn für mehr als das Überleben reicht.«
    »Kein Mann, der sich eine Dirne nimmt, schlägt sie?«, fragte Judith ungläubig.
    Maria zögerte. »Doch, auch das geschieht. Manche bezahlen im Voraus mehr dafür, manche im Nachhinein, aber mehr bezahlen müssen sie auf jeden Fall.«
    »An Euch oder an das Mädchen, das sie schlagen?«
    Diesmal hob Maria beide Hände, wie um selbst einen Schlag abzuwehren. »Getroffen«, sagte sie lächelnd. »Aber ich kann Euch versichern, eine Ehefrau bekommt überhaupt kein Geld für Schläge, genauso wenig wie dafür, besprungen zu werden, also geht es trotzdem gerechter bei uns zu. Und«, sie fuhr sich lächelnd mit der Zunge über die Lippen, »es gibt auch Frauen, die es gerne tun.«
    Judith meinte herauszuhören, dass Maria sich selbst dazu zählte. Das veranlasste sie, kühn eine Frage zu stellen, die sie schon lange beschäftigte.
    »Warum eigentlich?«, platzte sie heraus. »Was ist so schön an diesem Rein und Raus, dass es einem Spaß machen soll, wo man eigentlich hofft, dass es schnell vorbei ist? Ich vermisse jedenfalls nichts davon.« Sie dachte an ihre einzigen Erfahrungen mit ihrem Schwager zurück und war erstaunt über sich selbst, dass dieses Eingeständnis über ihre Lippen kam.
    Das Lächeln auf Marias Lippen wurde größer, als sie antwortete: »Ich bin zwar zu Euch gekommen, um Hilfe für meinen Hintern zu erhalten, nicht um Arzt bei Euch zu spielen. Eure Worte lassen mich aber erkennen, dass sowohl Eure Lehrer in Salerno, Eure Mutter und Euer Mann etwas versäumt zu haben scheinen. Man vermisst natürlich nur das, was man kennt, so kennt, wie es sein könnte! Glaubt mir, die Lust kommt mit dem Tun. Das ist das Geheimnis für uns Frauen. Verzeiht, ich will nicht

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