Das Spiel der Nachtigall
sich danach, Euch als Verbündeten zu gewinnen, und er wird nicht zögern, Euch mehr vom alten Gut der Welfen zurückzugeben, als Euer Bruder Euch genommen hat.«
»Das sind schöne Worte«, knurrte der Pfalzgraf. »Worte sind billig. Hat er irgendwelche bestimmten Güter genannt?«
»Stade«, sagte Judith und sah, dass die Augen des Pfalzgrafen aufleuchteten, ehe er seine Miene wieder im Griff hatte.
»Otto hat Stade dem Bremer Erzbischof als Dank für seine Unterstützung zugeschanzt«, sagte Heinrich herausfordernd. »Ich wüsste nicht, wie Philipp darüber verfügen will.«
»Ich kann nicht in die Zukunft sehen und wissen, wem das Kriegsglück hold ist, oder gar wann«, sagte Judith großäugig. »Aber König Philipp hat den Wunsch geäußert, Euch bereits einen Vorabentgelt für die Einkünfte zukommen zu lassen, die Stade Euer Gnaden bringen wird, wenn es erst Euer ist.« Sie hoffte, es so formuliert zu haben, dass es den Stolz des Pfalzgrafen nicht verletzte. Da er sie nicht anbrüllte, ob sie ihn für bestechlich halte, schien sie dabei Erfolg gehabt zu haben.
»Geht«, sagte der Pfalzgraf. »Ich werde Euch wieder rufen lassen.«
Judith hielt es nur noch für eine Frage der Zeit, bis sie auch in Braunschweig ihren Auftrag erledigt hatte. Sie war glücklich und zufrieden und überlegte, ob sie nicht sogar in der Stadt bleiben sollte. Immerhin hatte sie hier Patienten gefunden; vielleicht konnte sie in ein, zwei Jahren sogar Mosche ben Maimons Werk über das Asthma zurückkaufen. Ihr Leben schien endlich so zu verlaufen, wie sie es sich wünschte – bis man Gilles aus ihrem Haus zerrte.
Zuerst dachte Judith, sie hätte sich bei ihrer Einschätzung der Lage wie des Pfalzgrafen völlig geirrt, und die Männer kämen ihretwegen. Dann fiel ihr brennend heiß ein, dass die wichtigste Festung des Kölner Erzbischofs, Andernach, vielleicht so schnell gefallen war, weil Gilles nach ihrer Flucht Heinz von Kalden die richtigen Hinweise gegeben und man im welfischen Lager davon erfahren hatte. Die Männer der Wache blickten tatsächlich ausschließlich zu Gilles, der sich schützend vor sie stellte, mit Hohn und Widerwillen in ihren Mienen.
»So etwas bringen nur die Welschen fertig«, sagte einer von ihnen. »Kerl, du hättest deine dreckigen Finger bei dir behalten sollen.«
Gilles war von seinem alten Freund ausgeliefert worden: Robert hatte einen falschen Mann angesprochen und unter der Folter einen einzigen Namen genannt, bevor er seinen Verletzungen erlag. Gilles wurde in eines der Lochgefängnisse geworfen. Jeder, zu dem Judith ging, um für ihren Gemahl zu bitten, erzählte ihr etwas anderes darüber, was mit Gilles passieren würde. Die einen gingen davon aus, er müsse öffentlich ausgepeitscht und dann aus der Stadt geworfen werden, die anderen dagegen bestanden darauf, ein solches Greuel verdiene den Tod durch Verbrennen. Als Judith in ihrer Not bei der Pfalzgräfin vorsprach, war diese erst gewillt, sie zu trösten, doch als sie Judiths Anliegen hörte, war sie entsetzt.
»Seid froh und dankbar, wenn Euch das Gesetz von so einem Sünder befreit!«, rief sie. »Ich werde beten, dass Gott Euch Einsicht in seine Gnade schenkt.«
Dem Pfalzgrafen dagegen wäre ein Trostversuch erst gar nicht in den Sinn gekommen. »Solche Kerle«, sagte er, »waren mir schon immer zuwider. Ausrotten sollte man sie, wo man sie findet, aber mein Onkel hat ja … hmm … Verständnis gezeigt. Nun, das ist vorbei. Wenn ich Ihr wäre, Magistra, dann würde ich schleunigst zu Philipp zurückkehren. Ich habe mir die Sache überlegt, wir können handelseinig werden. Also, was zögert Ihr noch? Wenn es an sicherem Geleit für die Reise liegt, ich werde Euch Kriegsknechte mitgeben.«
Mit Gilles durfte sie nur einmal sprechen. Er sagte, dass es ihm leidtäte, und machte den Eindruck eines Mannes, den der Alptraum, vor dem er ein Leben lang davongerannt war, eingeholt hatte: Seine Augen waren leer und hoffnungslos. Er bat sie, sich um ein Begräbnis für Robert zu kümmern und ihn dann in Braunschweig zurückzulassen.
»Ganz bestimmt nicht«, sagte Judith. »Wo du hingehst, da will auch ich hingehen. Ich nehme meine Schwüre ernst, und ich werde nie jemanden dem Tod überlassen, wenn ich dagegen kämpfen kann. Du hast mich immer durch alle Gefahren gebracht. Wofür hältst du mich, wenn du denkst, dass ich dir nicht ein Gleiches tue!«
Aber die Lage wurde immer schlimmer. Gilles hatte Freunde in Braunschweig gefunden, doch
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