Das Spiel der Nachtigall
ihre Augen weit auf, um so unschuldig wie möglich dreinzuschauen.
»Magistra«, sagte er scharf, »hat man Euch in Salerno nicht gelehrt, wie man mit Menschen spricht, die über Euch stehen?«
»Nicht in Salerno.«
Es erwies sich, dass der Pfalzgraf Heinrich besser zuhörte als sein Bruder, denn ihm fiel sofort die Auslassung auf. »Wo dann?« Es war an der Zeit, den zweiten Zweck ihres Hierseins anzugehen. Wenn sie sich irrte, dann würde sie Braunschweig eben den Rücken kehren müssen.
»Zuletzt«, sagte Judith, »in Hagenau.«
Der Pfalzgraf verzog das Gesicht, doch er schwieg zunächst und beschränkte sich darauf, einen Brummlaut in seinen Bart hinein zu murmeln. Endlich beschied er ihr, sie möge gehen, ohne weiter etwas zu ihrer Antwort zu bemerken.
Judith besuchte die Pfalzgräfin weiter regelmäßig, wurde gut dafür entlohnt und fand nun auch Patienten unter den reicheren Bürgern, als sich herumsprach, dass die Magistra aus Salerno von Agnes zu Rate gezogen wurde. Die Pfalzgräfin erholte sich gut von ihrer Fehlgeburt, und soweit Judith feststellen konnte, erwiesen sich entweder ihr Rat an den Pfalzgrafen oder die Zitronenschalen als wirksam.
Nach mehreren Wochen befahl Heinrich sie wieder zu sich. »Der verstorbene Kaiser«, sagte er, »war der gefährlichste Mann, dem ich je begegnet bin, aber sein Wort war nichts wert. Fragt die normannischen Adligen im Königreich Sizilien. Das heißt, die kann niemand mehr fragen, weil sie alle tot sind. Warum sollte ich nicht auch alles hinrichten lassen, was von einem Staufer kommt, um mich selbst zu schützen?«
Weil Ihr mich nicht in den Kerker geworfen und nicht einmal gefragt habt, ob ich Philipp je zu Gesicht bekommen habe, dachte Judith. Weil Ihr Wochen verstreichen habt lassen, ehe Ihr mir diese Frage stellt. Ihr tragt den Seitenwechsel bereits in Eurem Herzen. Irene hatte recht! Laut sagte sie: »Weil Euer Sohn zur Hälfte ein Staufer ist. Weil Ihr für Euren Bruder nur ein Rivale und eine lästige Verpflichtung seid, jemand, von dem er nimmt, während Ihr für Philipp ein geschätzter Verbündeter wäret, dem er gibt, um ihn zu gewinnen.«
Er begann, an seinem Bart zu zupfen. »Ich habe mich erkundigt«, schleuderte er ihr entgegen. »Als Otto in Chinon die Krone angeboten wurde, da war es ein Kaufmann aus Köln, der die Nachricht überbrachte, und bei ihm war seine Nichte, eine Ärztin. Wer sagt mir denn, dass Ihr nicht Ottos Geschöpf seid? Es sähe ihm ähnlich, mich auf diese Weise zu prüfen. Er sucht doch nach einer Entschuldigung, mich um das Erbe unseres Vaters zu bringen. Dabei habe ich nie etwas anderes getan, als ihm zu helfen. Ich bin ein Mann, der zu seinem Wort steht.«
Daran, dass er sie für einen Spitzel Ottos halten könnte, hatte Judith nicht gedacht. Natürlich hatte sie kein Schreiben Philipps bei sich, nur Irenes Ring. Ob sich der Pfalzgraf allerdings von so etwas beeindrucken lassen würde? Immerhin blieb ihr die Wahrheit – und die menschliche Eitelkeit.
»Es stimmt, ich war in Chinon. Mein Onkel wollte ein Bündnis mit Eurem Onkel Richard – und es wart Ihr, den wir auf dem Thron sehen wollten und den die Kaufleute Kölns vorschlugen. Euer Onkel bestand auf Otto. Wir verstanden das nicht, aber was soll ein einfacher Untertan tun, wenn ein Fürst spricht?«
»Immer war es Otto«, murmelte der Pfalzgraf. »Gut. Gesetzt, ich glaube Euch, Magistra, wie kommt es dann, dass Ihr dieser Tage für Vetter Philipp die Botin spielt?«
»Weil ich gesehen habe, was für ein Mann Euer Bruder ist«, sagte Judith. Die Muskeln in den Wangen des Pfalzgrafen zuckten.
»Weib, es steht Euch nicht zu, über meinen Bruder zu urteilen«, gab er zurück. In seiner Stimme lag die klirrende Kälte seiner Stellung und seiner Geburt. Ihr Mund war trocken, doch jetzt gab es kein Zurück mehr.
»Ihr habt mich gefragt, und ich habe geantwortet.«
»Wenn sie Euch in Hagenau gelehrt haben, wie man zu Fürsten spricht, dann haben sie es nicht gut getan«, sagte er kühl. Immerhin ließ er sie nicht hinauswerfen, was bedeutete, dass sie recht hatte: Er hatte innerlich schon die Seite gewechselt und wartete nur auf eine bessere Entschuldigung für sich selbst.
»Euer Gnaden, Ihr kennt Euren Bruder besser als jeder andere Mensch auf Erden. Nur Ihr allein wisst, ob er Euch so behandelt, wie es einem Bruder geziemt; es steht mir nicht zu, dergleichen zu beurteilen. Doch kann ich beschwören, was ich selbst erfahren und gehört habe: König Philipp sehnt
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