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Das Spiel der Nachtigall

Das Spiel der Nachtigall

Titel: Das Spiel der Nachtigall Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tanja Kinkel
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wie das Tragen der Gebärmutter einer Ziege auf dem Bauch –, doch das wenige, was ihr einigermaßen verlässlich erschien wie Zitronenschalenhüte für den Muttermund, war für eine einfache Frau nicht zu erhalten. Dafür konnte sie mit Mitteln gegen Schwellungen und Jucken in der Vagina aufwarten, wofür Eibisch und Polei-Minze in die Bäder gestreut werden sollten, genau wie mit Mitteln gegen Ausschläge. Außerdem bereitete sie für Maria Mixturen, mit denen randalierende Männer ruhiger gestimmt werden konnten oder diese ganz zum Schlafen brachten. Auch Mittel gegen Läuse und verträglichere Salben für das Gesicht sowie bessere Gleitmittel für den sicheren Eingang, welche sie selbst auch gelegentlich bei Untersuchungen brauchte, waren begehrt.
    So erfuhr Judith mehr und mehr aus diesem Haus, ohne es je betreten zu haben. Zunächst stieg ihr noch die Röte in die Wangen, wenn Maria so ganz nebenbei erzählte, wie ein Mann drei Frauen haben wollte, bezahlt hatte und nach dem ersten Anlauf schon eingeschlafen war. Auch von merkwürdigen Sonderwünschen hörte Judith, wenn ihr auch ein Mann wie der, welcher nur durch die Füße der ihm gegenübersitzenden Frau befriedigt werden wollte, ein Rätsel blieb. Eines Tages entdeckte sie dann, dass sie über solche Dinge lachen konnte, so natürlich erzählte Maria davon, eingeflochten in ihre Gespräche über Kochrezepte, wo es Bier, Rüben und Roggen am billigsten gab oder warum Braunschweig wieder die größte Stadt Sachsens werden sollte.
    Als sie nun vor dem Hurenhaus stand, war es trotzdem eine große Überwindung, einzutreten – bis sich zwei Männer, welche den gleichen Weg hatten, einfach bei ihr unterhakten und fragten, ob sie heute noch frei sei. Judiths natürliche Reaktion wäre eine Ohrfeige gewesen, aber das hätte zu Aufsehen geführt, was sie vermeiden wollte. Sie bremste sich gerade noch rechtzeitig und sagte mit ihrem freundlichsten Lächeln: »Nicht so schnell, Freunde, ich muss erst mit Maria sprechen. Wisst Ihr, wo ich sie finde?«
    »Du hast noch viel zu viel an, mein Schatz, aber wir werden dir helfen, du kannst dich auf uns verlassen«, meinte einer. Das war nicht das, was sie erhofft hatte, aber was blieb ihr übrig; sie betrat zwischen ihnen das Haus. Aus dem Raum, dessen Tür ihre Begleiter gutgelaunt aufrissen, kam Musik. Als sie hineinblickte, sah sie zwei Spielleute mit Fiedel und Laute, eine Tischplatte voll mit Speisen und Getränken, mehrere freie und einige von Frauen und Männern benutzte Zuber für zwei, aber auch solche für mehr Benutzer. Die Anwesenden trugen ein loses Tuch um ihre Körper oder waren ganz nackt, bis auf Hauben bei den Frauen und häufig Hüten bei den Männern. Vollständig bekleidet war niemand, noch nicht einmal die Mägde, welche warmes Wasser nachschütteten oder Gäste auf Ruheliegen massierten. Es herrschte eine ausgelassene Stimmung; alle lachten, sangen und schienen bester Laune. Nur, wenn man genauer hinblickte, sah man, dass einige der Frauen wohl starke Pflanzenmittel benutzten, um die Zeichen der Erschöpfung aus ihren Gesichtern fernzuhalten. Sie hatten die unterschiedlichsten Figuren, manche sehr üppig, andere fast knabenhaft. Einige wären sogar als Modell für die Statuen der heidnischen Götter geeignet gewesen, die Judith in Italien gesehen hatte, so ebenmäßig wirkten sie. Erst als sie bemerkte, wie eine Frau sich völlig ungezwungen das Glied eines Mannes nahm, wusste Judith nicht mehr, wohin sie schauen sollte. Als einer ihrer Begleiter »Maria!« brüllte, tat sich eine weitere Tür auf, und ihre Freundin betrat endlich den Raum. Judith war geneigt, eine Kerze zu stiften, obwohl das eine rein christliche Zeremonie war.
    Maria musste ihr ansehen, dass etwas nicht stimmte; vielleicht wusste sie auch einfach nur, dass es schwerwiegende Gründe gab, wenn Judith ihr Haus besuchte. »Meine Freundin und ich müssen etwas besprechen«, sagte sie und griff nach Judiths Hand; da die beiden Männer nicht von ihr lassen wollten, fügte sie hinzu: »Fragt oben nach Brunhilde, die ist gerade frei.« Brunhilde musste etwas Besonderes zu bieten haben, denn die Männer gaben Judith ohne Maulen und mit erkennbarer Vorfreude frei und zogen ab, während Maria die Tür des Nebenraums hinter ihnen schloss.
    »Ich brauche ein Kettenhemd«, begann Judith ohne Vorrede, »Wehrgehänge, Helm und Oberteil mit dem Wappen der Welfen, für einen Mann, schlank und gut einen halben Kopf größer als ich, und

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