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Das Spiel der Nachtigall

Das Spiel der Nachtigall

Titel: Das Spiel der Nachtigall Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tanja Kinkel
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nickte, während sie Wasser holte, um kalte Umschläge zu machen. »Wir sind Euretwegen einen ganz schön langen Weg gekommen«, sagte Markwart, doch noch ehe sie ihn darum bitten konnte, ihr zu erklären, wie er das meinte, erlangte Walther wieder das Bewusstsein. Judith sagte das Erste, was ihr in den Sinn kam.
    Seine Antwort war völlig unerwartet, aber was sie wirklich aus der Fassung brachte, war sein Gesichtsausdruck, als sie ihn bat, Gilles zu helfen. Sie hatte ihn bisher wütend erlebt, spöttisch, zufrieden, selbstgefällig, verständnisvoll, um Beifall heischend, herausfordernd und in einem Dutzend weiterer Stimmungen, aber selbst, als er über seine Verstrickung sprach, was ihrem Vetter und den Seinen in Wien angetan worden war, hatte keine so große Verwundung in seinen Augen gelegen. Anders als bei allen Streitereien, die sie mit ihm gehabt hatte, war es diesmal nicht ihre Absicht gewesen, ihn zu verletzen, und doch zitterten seine Lippen für einen kurzen Moment wie bei einem Kind, ehe er sich wieder unter Kontrolle hatte und eine Maske wie ein weißes Leinentuch über sein Antlitz fiel.
    Sie hörte sich selbst einen kleinen Laut ausstoßen, ein »oh«, ohne sich dessen bewusst zu sein. Konnte er wirklich in sie verliebt sein? Judith hatte sein Verhalten immer als ein Teil des Wettbewerbs genommen, in den sie zu fallen schienen, wann immer sie einander begegneten. Es war ganz bestimmt besser, sich Walther als jemanden zu denken, der außerhalb seiner Lieder gar nicht tief empfinden konnte.
    Sie versuchte, sich zu sammeln, und fiel auf ihre Ärztemanier zurück, in der sie sachlich die Symptome einer Krankheit schilderte, ohne sich anmerken zu lassen, was sie selbst empfand. »Gilles ist angeklagt, einem anderen Mann beigewohnt zu haben. Niemand in dieser Stadt ist willens, Gnade walten zu lassen. Ehe Ihr fragt, die Anklage stimmt, aber das bedeutet nicht, dass ich ihn im Stich lassen werde. Er ist für mich durchs Feuer gegangen. Diese Ehe ist ihm aufgezwungen worden wie mir, aber wir haben das Beste daraus gemacht.«
    Walther setzte sich so schnell auf, dass sie ihn an den Schultern zurückhielt. »Ihr könntet unter einer Gehirnerschütterung leiden. Bleibt noch etwas liegen.«
    »Ich wusste, dass an dieser Ehe etwas nicht stimmte!«, sagte er triumphierend. Sein Tonfall erinnerte sie unglücklicherweise wieder daran, warum es so schwer war, mit ihm im gleichen Raum zu bleiben, ohne einen Streit zu beginnen.
    »Woher? Ihr kennt mich nicht gut genug, um das zu wissen.«
    »Nun, Euer Vetter Paul hat mir erzählt, dass Herr Otto den Ehestifter gespielt hat«, entgegnete Walther.
    »Dann wart Ihr in Köln? Wie geht – ach, das hat Zeit. Walther, wir müssen Gilles helfen, so schnell wie möglich. Heute soll zwischen einer Züchtigung und einer Hinrichtung entschieden werden, und kaum jemand glaubt, dass sie Gnade walten lassen. Morgen könnte schon sein letzter Tag anbrechen.«
    »Ich bin ein Sänger, kein Rechtsgelehrter«, sagte Walther, »und ein schwertkämpfender Held, der ihn vom Marktplatz entführen könnte, bin ich auch nicht.«
    »Wie habt Ihr mich dann retten wollen?«, warf sie ihm an den Kopf. Er schenkte ihr ein schwaches Lächeln.
    »Durch Bestechung, Amtsanmaßung, Fälscherei, was immer notwendig hätte sein können.«
    »Bestechung?«, fiel Markwart ein. »Du hast Geld, um Gefangenenwärter zu bestechen, aber wir schlafen immer noch in Ställen?«
    »Man kann nicht nur mit Geld bestechen«, entgegnete Walther.
    Judith krauste die Stirn. »Ich habe Bücher«, sagte sie, »aber das einzige, das sofort einen Käufer finden würde, habe ich bereits verkauft.« Erneut fiel ihr Irenes Ring ein. Sie trug ihn nicht am Finger, weil Ringe sie nur bei der Arbeit behindern würden, aber er hing an einer Schnur um ihren Hals, verborgen unter ihrem Oberkleid, wo ihn begehrliche Augen nicht sehen konnten. Rasch holte sie ihn hervor. Markwart pfiff durch die Zähne, als er ihn sah.
    »Nun, eigentlich sollte der mehr als genügen«, sagte Walther, »nicht nur für einen Wächter, aber das Problem bei Bestechungen ist, dafür zu sorgen, dass die Leute nicht einfach nur das Geld nehmen und einem danach trotzdem nicht helfen.«
    »Ihr seid nicht ermutigend«, sagte sie mürrisch und meinte das Gegenteil: Nicht mehr alleine über einen Ausweg nachgrübeln zu müssen, sondern jemanden zu haben, der alles Mögliche war, doch nicht dumm, ließ ihre Lebensgeister aufleben.
    Walther setzte sich erneut auf,

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